Theodizee 2

Bitte beachten:
Nur in den dafür vorgesehenen Schulstunden daran arbeiten.
Nicht hetzen, es geht nicht um Schnelligkeit.

Ich mache keinen Druck – macht Ihr Euch auch keinen!
Es geht darum, es nachzuvollziehen – und zwar kritisch nachzuvollziehen.
Es geht um Sorgfalt.
Es gibt keine Hausaufgaben.
Achtet auf Pausen.

Überlegungen
(Stand 04.03.2021)

LEIDEN UND GOTT – GOTT UND LEIDEN

1a. Woher kommt Leiden? Was lässt Menschen leiden?

Aufgabe 1a:
Was denkst Du?:
(a) Was ist das: Leiden?
(b) Leiden alle Menschen gleich?

Aufgabe 1b:
Wenn man in der Philosophie oder der Theologie über das Leiden spricht, dann versucht man vom eigenen Leiden zu abstrahieren. (Wie sich auch ein Arzt nicht vor lauter Mitleiden mit dem Patienten solidarisieren soll – und dann vor lauter Mitleiden hilflos ist.) Es soll gedanklich erfasst und dann das Erdachte verallgemeinert werden. Was meinst Du: Ist das möglich? Begründe Deine Meinung.

Leiden ist etwas, das alle Menschen gleichermaßen betrifft – aber Menschen leiden an den gleichen Ereignissen unterschiedlich. Je nach Stimmung, nach Körperkraft, nach psychischer Einstellung – und viele andere Faktoren spielen eine Rolle. Manche Menschen sind im Leiden stark – manche Menschen geben sehr schnell auf. Warum dem so ist – auch da spielen viele Faktoren eine Rolle, die zum Teil kaum in ihrem Zusammenspiel durchschaut werden. Aber der Mensch kann an sich arbeiten. Er ist sich selbst nur bedingt ausgeliefert.

1b. Theodizee als religiöse und philosophische Frage

Das Thema der Theodizee ist in erster Linie ein religiöses Thema. Das wurde von religiösen Philosophen vertieft. Von säkularen Philosophen wurde dann das Thema aufgenommen, um die religiöse Argumentation zu überprüfen. Manchmal mit dem Ziel zu beweisen, dass es keinen Gott gibt.

Aufgabe 1c:
(a) Bitte lest das Folgende sorgfältig durch. Es ist die Grundlage für die philosophische Auseinandersetzung mit dem Thema.
(b) Wenn Ihr etwas zu ergänzen habt, dann ergänzt es – und im Gespräch kann das dann vertieft werden.
(c) Bemerkung: Kritisches Lesen ist in der Philosophie wichtig – aber argumentativ, nicht nur emotional. Auch bei Philosophen kann beides ineinander fließen, wie Ihr an Voltaire sehen werdet.
(d) Merke Dir die Fachbegriffe.

***

Ihr habt schon viel über Leibniz nachgedacht. Darum steht er hier an erster Stelle (2a). Von ihm aus gehen wir in weitere Gedankenwelten hinein: Voltaire (2b), dann Traditionen (Epikur)(3a) und Versuche, Leiden zu verstehen (3b), dann zur Frage, was ist eigentlich Leiden? (4a und 4b), die religiöse Sicht zum Thema Leiden und das Böse (5). Dann ist die Theodizee-Frage (6a) und die Frage nach der Anthropodizee (6b) im Blick. Das zielt auf die Abschnitte, dass eine Beantwortung der Frage von eigenen Prämissen abhängt (7a) und dass die Aufgaben der Religion und Philosophie unterschiedlich sind (7b). Der Abschnitt 7c zeigt, dass man zwischen rationaler, authentischer und empathischer Theodizee unterscheiden muss. Ein Ausblick spricht kurz das Thema, das uns beschäftigen wird, an: Religionskritik (8).

2a. Leibniz

Auch wenn nicht verständlich ist, warum Menschen leiden müssen, versucht der eine oder andere Philosoph, darauf eine Antwort zu geben, so der Mathematiker und Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) in Reaktion auf Pierre Bayle (1647-1706):

  • Malum metaphysicum: die Schöpfung ist unvollkommen – sonst wäre sie Gott.
  • Malum physicum: Schmerz und Leid sind nützlich, weil sie vom Schädlichen abhalten und zum Nützlichen hinführen
  • Malum morale: das sündige Tun, das sich von Gott abgewendet hat, führt zum Leiden.

Voraussetzung dieser Sicht: Die Welt ist der Vernunft zugänglich – nichts ist widervernünftig, das heißt: Die Welt ist trotz der Mängel gut.

Dazu gehört aber auch zu verstehen, dass:

  1. Es geht nicht darum, die Existenz Gottes zu beweisen. Dazu ist nach Leibniz der Mensch nicht in der Lage. Es geht nur darum zu fragen, ob die Übel der Güte, Weisheit und Allmacht Gottes widersprechen oder nicht. Eine Vermengung der Theodizeefrage mit der Frage der Existenz Gottes ist argumentativ unredlich.
  2. Die Vernunft des Menschen ist begrenzt. Das muss der Mensch anerkennen, wenn er nicht hochmütig ist. Das heißt: Die schwache Vernunft des Menschen hat keinen Einblick in die allumfassende Vernunft Gottes. Dazu müsste der Mensch, so Leibniz, sämtliches Leiden auf der Welt durchschauen, sowohl das, was diesem vorausging als auch das, was diesem folgt, um wirklich Gottes Ratschlüsse – also das Handeln der allumfassenden Vernunft – nachvollziehen zu können.
  3. Es ist anzuerkennen, dass es Dinge gibt, die über die menschliche Vernunft gehen. Darum geht es nur darum, das zu bedenken, was gegen die menschliche Vernunft geht. Und in diesem Sinne, so Leibniz, widerspricht Leiden nicht der Allmacht, Allgüte und Allweisheit Gottes.
  4. Gottes reiner Wille besteht darin: Er gibt Vernunft, um das Übel wahrzunehmen und zu verhindern. Das bedeutet aber: Der Mensch kann Übel wahrnehmen, somit auch leiden.
  5. Darum wägt Gott ab: Ist es besser, der Mensch bekommt Vernunft oder bekommt er sie nicht, damit auch keine Möglichkeit, Übel wahrzunehmen, somit merkt er auch keine Leiden? (Wie Tiere auch keine Vernunft haben, entsprechend Übel nicht rational wahrnehmen können.)
  6. Gott kommt zu dem Entschluss – das können wir also mit Hilfe unserer Vernunft erkennen: Es ist besser, der Mensch hat Vernunft, damit hat er aber auch die Möglichkeit, Übel wahrzunehmen, zu leiden – und zu bekämpfen, so Leibniz.
  7. Die Freiheit des Menschen bedeutet: Vernunft ist jedoch nicht nur ein Gegenpart zu den Übeln, denn: Der Mensch kann die Vernunft missbrauchen, somit dient auch die Vernunft der Leidvermehrung.
  8. Wenn der Mensch die gute Vernunft missbraucht, bedeutet Übel die Abwesenheit des Guten. Wie Kälte Abwesenheit von Wärme, Finsternis Abwesenheit von Licht ist, so ist Übel Abwesenheit des Guten. Leibniz geht also nicht von einer gegengöttlichen Macht (Satan/Teufel) aus. (Aber auch hier: nicht anthropozentrisch gedacht!)
  9. Gibt es mehr gute Vernunft in der Welt, die das Übel bekämpft? Wenn nicht, wäre Gott nicht gut, er würde den Menschen über die Maßen leiden lassen. Kosmosweit (!) gesehen muss dem so sein, so Leibniz, denn sonst wäre die Welt nicht grundsätzlich gut. Ihm geht es darum, dass Gott mit möglichst geringen Mitteln die vielfältigste Welt geschaffen hat. (Leibniz ist der, der eine Monaden-Theorie entwickelte, eine Art Atome.) Seine Gegner gehen anthropozentrisch vor, das heißt: sie stellen den Menschen ins Zentrum der Überlegung, also den sozialen Mikrokosmos, Leibniz den Makrokosmos.
  10. An Gott, auf den Leibniz eingeht, zweifelt auch der Philosoph Pierre Bayle nicht. Er glaubt jedoch nicht, dass der Mensch fähig ist, mit seiner geringen Vernunft alles logisch zu durchdringen. Man muss an die Gerechtigkeit Gottes glauben, die Vernunft kann sie nicht erfassen. Das kann der Mathematiker Leibniz so nicht akzeptieren und versucht, wie gesehen, argumentativ der Vernunft einen höheren Rang zuzuordnen.

Aufgabe 2a: Versuche das mit dem Text, den Du von Leibniz gelesen hast, zu verbinden. (Text s. Theodizee 1: https://mini.evangelische-religion.de/theodizee/ (E-Ethik)

2b. Leibniz und Voltaire

Damit ist Leibniz ein Philosoph, der die Rolle der Vernunft sehr betont. Er geht davon aus, dass der Mensch mit seiner Vernunft in Grenzen die Vernünftigkeit Gottes erschließen kann. Die Vernunft des Menschen wird sehr groß herausgestellt. Andere bauen auf dieser Betonung der Vernunft auf. Sie kommen aber zu anderen Schlussfolgerungen.

Nachdem dann der Tsunami 1755 Lissabon überflutet hatte, wurde massiv über die Theodizee und die beste aller Welten des Leibniz nachgedacht. Zu nennen ist an dieser Stelle der Philosoph Voltaire (1694-1778). Er geht massiv gegen die Sicht von Leibniz vor – und zwar emotional: Die erfahrbare Welt ist nicht gut. Leiden dominiert. Voltaire ist Deist. Das heißt: Er geht davon aus, dass ein Gott / eine Macht die Welt geschaffen hat, sie dann aber allein lässt. Menschen müssen dann sehen, wie sie in dieser Welt zurecht kommen. Um zurecht zu kommen, muss man seine Vernunft einsetzen. Gleichzeitig ist aber Gott für die Moral des Menschen wichtig. Die Vernunft muss erkennen, was der Gott / die Macht in die Schöpfung zum Guten eingewoben hat. Verteidigungen Gottes nicht weiter führend, weil der Mensch nun im Vordergrund steht.

Das bedeutet: Die Säkularisierung ist fortgeschritten. Nicht Gott ist das Thema. Thema ist der Mensch, ist die Möglichkeit des Menschen, aufgrund seines Verstandes eine bessere Welt zu schaffen.

Aufgabe 2b: Stelle mit eigenen Worten heraus, worin der Unterschied (in dieser Darstellung) zwischen Leibniz und Voltaire besteht. Zu Voltaire s. den Text: https://mini.evangelische-religion.de/theodizee/ (E-Ethik) Muss nicht gelesen werden!!!

***

Weil Ihr schon über Epikur gesprochen habt, kehren wir zeitlich in alte Zeiten zurück, um auch das einordnen zu können:

3a. Epikur, Laktanz und die Stoiker

Der vorchristliche Philosoph Epikur (270 v.Chr.) – so wird gesagt (! – s.u.) – hat sich folgende Fragen gestellt:

  • Entweder will Gott alles Schlimme beseitigen und kann es nicht – dann ist er schwach, er ist nicht Gott.
  • Oder: Gott kann alles Schlimme beseitigen und will es aber nicht – dann ist er böse, aber Gott kann nicht böse sein.
  • Oder: Gott kann es nicht beseitigen und will es nicht tun – dann ist er schwach und böse zugleich, aber Gott ist weder das Eine noch das Andere.
  • Oder: Er will es und kann es, wie es Gott entspricht – dann stellt sich die Frage: Woher kommen die Übel – und warum nimmt er das Schlimme dann nicht weg?

Was „Epikur“ (inzwischen scheint es gesichert, dass diese Sätze nicht von Epikur sind, sondern eher mit dem Skeptiker Sextus Empiricus [2. Jh. nach Christus] zu verbinden sind) nicht macht: Er sagt nicht: Weil es Leiden gibt, gibt es keinen Gott. Die Existenz von Gott ist vorausgesetzt. Man kann ja auch nicht sagen: Wenn es regnet, gibt es keine Sonne. Menschen erfahren in allen Kulturen und Zeiten Mächte bzw. eine Macht, die größer ist als sie selbst. Und diese Macht hört mit dem Leiden nicht auf zu existieren. Aber, worauf es „Epikur“ wohl anzukommen scheint: Er will damit sagen: Ein Gott kümmert sich nicht um den Menschen. Dagegen wendet Laktanz, der christliche Philosoph (250-320), der diesen Text als einen Text von Epikur überliefert, ein: Wenn es keine Übel gäbe, gäbe es auch keine Weisheit, die den Menschen befähigt, zwischen Gutem und Bösem zu unterscheiden. Ohne Weisheit könne der Mensch sich weder ethisch gut verhalten noch Gott erkennen.

Aufgabe 3a: Dieser dem Epikur zugeschriebene Text wird im Kontext der Theodizee immer wieder zitiert. Die Intention sollte man sich merken. Formuliere sie in einem Satz.

Die Sicht, die Epikur zugeschrieben wird, war in der Antike nicht diejenige, die weit verbreitet war. Verbreitet war die Sicht der Stoiker. Diese philosophische Richtung erklärt mit Blick auf das Thema der Theodizee, dass der Mensch sich den Göttern / dem Schicksal unterordnen muss. Es kostet nur Kraft, sich gegen es aufzulehnen. Man muss das, was kommt akzeptieren. Die Freiheit des Menschen, so der Stoiker Epiktet (ca. 50-138), besteht darin, sich dem Schicksal einordnen zu können.

Aufgabe 3b: (a) Fasse die Sicht der Stoiker kurz zusammen; (b) Welcher der genannten Sichtweisen kannst Du Dich (eher) anschließen?

3b. Weitere Versuche Leiden zu verstehen und mit ihm umzugehen – ohne Gott in den Blick zu nehmen:

Vor, mit und nach „Epikur“ haben sich viele Menschen diese Frage gestellt. Und entsprechend gibt es viele Antworten:

  1. Das Schlimme und das Gute, Tod und Leben, Gutes und Böses gehören einfach zusammen: das ist Natur. Und wenn man dagegen nichts machen kann, dann muss man als Mensch zusehen, wie man dazu steht.
  2. Man muss sich dem Leiden durch Meditation und sich einem geselligen Lebenswandel entziehen, sagt Buddha.
  3. Leiden ist unwichtig, da man ja sowieso wiedergeboren wird, sagen Hindus.
  4. Manche Menschen sagen, es kommt nicht auf den einzelnen Menschen und sein Leiden an – er muss sich einfach den anderen ein- und unterordnen. Andere sagen:
  5. Man muss angesichts des Leidens nur tapfer, besonnen, stark sein,
  6. oder sich gegen die Symptome der Ungerechtigkeiten und Leiden einsetzen,
  7. oder sich gegen die Wurzel des Leidens einsetzen,
  8. oder: in allen Lebenslagen so leben, dass man Freunde, Familie, Gott und sich selbst nicht enttäuscht,
  9. oder: positiv denken setzt positiv stimmende Hormone frei,
  10. oder: Leiden ist einfach als Teil meines individuellen Lebens zu akzeptieren.

Aufgabe 4: Gestalte zu diesen Punkten eine Mindmap.

***

Bislang wurde häufig über Leiden gesprochen. Was ist das eigentlich? Dazu ein paar wenige Gesichtspunkte:

4a. Was ist Leiden?

Leiden (Schmerz) wird vom Körper wahrgenommen – von der Psyche unbewusst wahrgenommen – wird vom Geist/Verstand bewusst wahrgenommen. Je nachdem muss der jeweilige „Teil“ unterschiedlich „behandelt“ werden: Körper: z.B. durch Medikamente, Psyche: z.B. durch Psychopharmaka, Seelsorge, Psychische Behandlung…, Geist: z.B. durch rationale Argumente, Seele als Größe, die der Metaphysik zugehört, der religiöse Teil: durch Seelsorge… Da diese drei / vier Aspekte Körper, Psyche, Geist, Seele) miteinander zusammenhängen, wird der Mensch stärker als Einheit gesehen und sein Leiden wird – je nach Leiden – ganzheitlich zu erfassen sein.

4b. Körper – Seele – Geist

Substanzdualistisch: Körper [Materie] – und Seele/Geist [das nicht materialistische Selbst/Wesen des Menschen] (Platon [428-348]); 

Substanzmonistisch: Körper wie Seele/Geist sind materialistisch (Lukrez),

die Metaphysik bringt Aristoteles (384-322) in die Diskussion ein – ebenso sieht er den Geist als nachdenkenden Teil der Seele.

In der Moderne hat René Descartes (1596-1650) an dieser Stelle weiter nachgedacht. Sein Problem war: Wie können der materialistische Körper und das nichtmaterialistische Denken zusammengeführt werden? In der gegenwärtigen materialistisch dominierten Zeit der Biologie werden alle Bereiche als materialistisch angesehen, die Fragen stellen dann vor allem Philosophie/Theologie: Wie kann Materie denken? An dieser Stelle gibt es in der gegenwärtigen Forschung insgesamt überwiegend Fragen.

Das sind Überlegungen, die Gott nicht berücksichtigen.

Damit sind wir bei grundlegenden anthropologischen Fragen, also Fragen nach dem: Wer/was ist der Mensch?

Aufgabe 5: Merke Dir die Fachbegriffe.

5a. Nun kommen Überlegungen, die Gott, Götter usw. in das Denken einbeziehen

  1. Nicht Gott ist für das Leiden verantwortlich, sondern böse Mächte (Dämonen, Satan, missgünstige Seelen der Ahnen…) (zum Beispiel: Animisten, Schamanen),
  2. Leiden ist Allahs Wille und der Mensch muss sich in dem Leiden bewähren, sagen Muslime.
  3. Manche Menschen sagen: Es ist Strafe von Gott, weil man sich gegen Gottes Willen verhalten hat.
  4. Andere: Das Leiden verursachen Menschen, weil sie sich gegen Gottes Willen verhalten (zum Beispiel: Wer sich gegen das Gebot, du sollst nicht töten, vergeht, oder gegen „Liebe deinen Nächsten“, oder: du sollst Arme nicht ausbeuten) – und Gott wird sie im Jenseits dafür bestrafen. Man nennt das: ausgleichende Gerechtigkeit.
  5. Gott selbst kann nicht böse sein – sonst gäbe es nichts Gutes auf der Welt und Schöpfung wäre nur schlimm.
  6. Menschen können Gott ihr ganzes Leiden klagen – und bitten, dass er ihnen beisteht (Psalmen, Hiob).

Aufgabe 6: Überlege – und schreibe auf: (a) Kannst Du die Liste ergänzen? (b) Wo ordnest Du Dich ein? Warum?

5b. Woher kommt das Böse?

Es gibt in den Religionen verschiedene Vorstellungen über das Böse, über das, was Menschen leiden lässt, Leben einschränkt, verhindert:

  1. Hinduismus/alte Griechen: Götter sind wie Menschen gut und böse und launisch. Ist das Opfer/Verhalten des Menschen nicht richtig – zeigen sie sich von der dunklen Seite und der Mensch muss leiden. Es gibt im Hinduismus allerdings viele weitere Strömungen.
  2. Dualismus: Gott/Götter sind gut – sie haben böse Geister/Götter als Gegner, die dem Menschen schaden.
  3. Islam: Menschen müssen annehmen, was Allah schickt – denn er prüft sie.
  4. Hinduismus/Buddha (Siddharta Gautama): Götter spielen keine Rolle – aber das Verhalten des Menschen in seinem vorangegangenen Leben und das Verhalten des Menschen in diesem Leben ist gut oder böse und hat entsprechend Auswirkungen auf die Lebensqualität des kommenden Lebens.
  5. Atheismus: Böses muss nicht „böse“ sein. Das „Böse“ ist eine religiöse Vorstellung. Aggressionen dienen der Selbsterhaltung – und können von anderen nur als böse interpretiert werden, als Leben einschränkend. Schlimmes Schicksal – das ist eben so.

Aufgabe 7: (a) Gestalte auch hier eine Mindmap; (b) was erscheint Dir plausibel? Entspricht alles nicht Deinem Weltbild? Notiere das, was Du dazu denkst.

6a. Die Theodizeefrage

Man nennt die Frage danach, wie Gott und Leiden zusammenpassen: Theodizeefrage. Das heißt, es geht um die Frage: Ist Gott gerecht, wenn er den Menschen leiden lässt? Diese Frage kann nur aufbrechen, wenn Menschen an einen liebenden bzw. barmherzigen Gott glauben. Dann versuchen sie die Liebe Gottes mit ihrem Leiden in Verbindung zu bringen. Menschen, die an gewalttätige oder ignorante Götter glauben, denen käme nie in den Sinn, darüber nachzudenken. Götter sind halt so. Oder in Religionen, in denen das Schicksal dominiert und der Mensch diesem nicht entfliehen kann, spielt die Theodizeefrage keine Rolle. In christlicher Tradition gibt es unterschiedliche Antwortversuche :

  1. Gott lässt dem Bösen Raum, damit der Mensch verantwortlich handeln kann.
  2. Gott will, dass der Mensch – im Unterschied zum Tier – frei ist: und dazu gehört auch, dass er sich dann verantwortlich verhält – mit der Konsequenz, dass er auch Leiden verursacht und selbst angesichts des Leidens seinen Weg in Verantwortung finden muss.
  3. Leiden = Erziehung, Prüfung usw.
  4. Es gibt auch dunkle Seiten Gottes – das heißt: Seiten Gottes, die der Mensch in seinem Leiden nicht oder nur schwer als „Liebe“ Gottes versteht, verstehen kann.

Versuche von Religionen mit Leiden umzugehen

(in Anlehnung an: B. Scherer: Die Weltreligionen. Zentrale Themen im Vergleich, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2003)

  1. Judentum: Wir wissen nicht, warum Menschen leiden müssen – Leiden als Prüfung und Herausforderung für den Glauben: aber wir bleiben dennoch bei Gott. Klage, Bitte und das Vertrauen, dass Gott weiß, was er tut, denn er ist der helfende Gott, bestimmen den Glauben.
  2. Islam: Menschen leiden – und man soll ihm mit Dankbarkeit und Geduld begegnen. Leiden ist Prüfung und Allah wird später Menschen – je nach ihrem Verhalten – belohnen oder bestrafen. In der Umma soll man einander beistehen, damit Leidenden geholfen wird.
  3. Hinduismus/Buddhismus: Das Gesetz von Ursache und Wirkung (Karma) erklärt das Leiden: Die Worte und Taten des Menschen (im früheren Leben) haben sein Leiden verursacht. Leiden ist Reinigung vom schadenden Karma. Das heißt: Wer leidet, der weiß, dass er aufgrund der Vergehen im vorigen Leben selbst daran Schuld ist. Buddha lehrte aber weiter gehend, dass der Mensch sich vor dem Leiden dadurch bewahrt, dass er lernt, sich von allem zu lösen, was Leiden verursacht. Das heißt: anders als in westlicher Theologie spielt die Theodizeefrage in hinduistischer und buddhistischer Tradition keine Rolle. (Über die Aussagen bei Scherer hinaus: Es gibt auch im realen Hinduismus und Buddhismus Götter, die man bitten kann, das Leiden zu nehmen. Leiden = Schaden, den böse Geister den Menschen zufügen.)
  4. Hinzu kommt noch die Frage: Wie sehen Atheisten das Leiden? (Atheisten = Es gibt keinen Gott): Leben besteht aus lauter Zufällen, die ich versuchen kann zu beeinflussen. Leiden gehört zum Leben einfach dazu – wie der Tod, der ohne Elemente der Hoffnung gesehen wird. Man muss nur sehen, dass man möglichst ohne Leiden durchs Leben kommt. Das gilt auch mit Blick auf andere Menschen. Wenn man allerdings leiden muss – muss man es allein oder mit Mitmenschen zu überstehen versuchen.

Der christliche Glaube greift viele Aspekte aus Religionen auf, hat eine Besonderheit, die mit dem Leben Jesu Christi verbunden ist. Das ist darin begründet, dass am Anfang der christlichen Religion das Leiden des Religionsgründers – der mit Gott zusammengedacht wird ! – steht. Von daher ist diese Religion intensiv vom Nachdenken über das Leiden geprägt. Von daher ist es kein Zufall, dass gerade in diesem Kulturkreis das Thema intensiv diskutiert wird.

Versuche des christlichen Glaubens mit Leiden umzugehen

  1. Klagen, Beten (Hiob, Jesus am Kreuz: „Gott, warum hast du mich verlassen?“) – das heißt: sich im Leiden Gott zuwenden, auch wenn man Gottes Handeln nicht versteht.
  2. Tatkräftig gegen die Ursache des Leidens angehen (Jesus Christus: Wunder, Ethik).
  3. Angesichts des Leidens von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, am Kreuz: Gott ist auch in unserem Leiden anwesend, auch dann, wenn wir ihn nicht spüren sollten.
  4. Angesichts der Auferweckung von Jesus Christus: Gott kann den Menschen auch durch das extremste Leiden zu sich führen. Leiden und Tod sind nie das Ende, sondern den Menschen erwartet Leben bei Gott.
  5. Gott schenkt durch Jesus Christus die Hoffnung, dass er allem Leiden ein Ende bereiten wird. Es handelt sich um die eschatologische Hoffnung, die Hoffnung, dass Gott seine Welt vollenden wird.
  6. Menschen werden schuldig. Jesus Christus ist für die Schuld der Menschen gestorben. Wenn Menschen im Glauben die Vergebung durch Gott annehmen, werden sie von dem leiden an der Schuld befreit.
  7. Diese guten Worte, die Mut, Kraft, Zuversicht schenken – sind allerdings Worte, die kraftlos bleiben können. Das vor allem auch dann, wenn Menschen selbst von ihrem Leiden gefesselt werden. Jeder Mensch muss sich in seinem jeweiligen Leiden neu zu Antworten hindurchringen. Glaubende dürfen sich in den Tiefen zusagen lassen: Auch wenn ich von Gott nichts spüre – ist er anwesend und möchte mir Kraft und Vertrauen schenken – wie Jesus am Kreuz… Kann ich das zulassen? Obwohl man das alles weiß, tun solche guten Worte jedoch auch gut und sind nicht zu verschweigen und zu verachten.
  8. Beachte die Fülle möglicher Erklärungen aus unterschiedlichster Perspektive: https://mini.evangelische-religion.de/theodizee-ueberblick/

Aufgabe 8: Male zwei Mindmaps – eine zu den Ansichten der Religionen, dann zu der Sicht des christlichen Glaubens.

6b. Anthropodizeefrage

Vielfach sind es Menschen, die Leiden verursachen. Dann fragen Menschen, die leiden: Wie kann Gott das zulassen? Statt den Menschen in Frage zu stellen, wird Gott in Frage gestellt. Wenn Gott wegfällt, weil man aus welchen Gründen nicht an ihn glauben kann oder mag, dann stellt sich die Anthropodizeefrage: Warum fügen Menschen einander Leiden zu? Warum sind Menschen so grausam? Was kann man machen, damit der Mensch zivilisiert wird? Aber wer darf Erzieher der Menschheit sein? Führt das nicht wieder nur zum Leiden, wenn eine Gruppe meint, sie sei dazu berufen, andere zu erziehen? Der Mensch im Dilemma.

Aufgabe 9: Merke Dir diesen Begriff und überlege, ob Dir so etwas auch schon aufgefallen ist. Lege kurz dar, in welchem Zusammenhang.

7a. Grundsätzliche Entscheidung

Grundsätzlich stehen wir Menschen vor der Prämisse, der Vorentscheidung: Aufgrund des Leidens

  1. Gott infrage stellen – ablehnen.
  2. Gott die Frage stellen: Warum? Wozu?
  3. Gott, an dessen Existenz man glaubt, bekämpfen, weil er ungerecht ist.
  4. Sich in Gott bergen.
  5. Mit (bzw. ohne) Gottes Kraft gegen Leiden angehen, wenn es sich um Leiden handelt, das man bekämpfen kann.

7b. Unterscheidung: Philosophie und Religion

Die Religion versucht im Leiden zu helfen, zu trösten, den Menschen durch das Leiden hindurch zu helfen. Die Existenz Gottes wird nicht verneint. Es können allerdings unterschiedliche Gottesvorstellungen zu unterschiedliche Antworten führen. Aus diesen kann dann der Leidende die Antworten herausnehmen, die für ihn plausibel erscheinen.

Die Philosophie versucht im Für und Wider einen Sachverhalt rational zu klären, wobei es auch um die argumentative Darlegung unterschiedlicher Weltanschauungen geht. Wesentlich ist in der säkularen Philosophie, dass von Gott abstrahiert und auf den Menschen als Vernünftigen und Handelnden hingewiesen wird. An dieser Stelle gibt es auch eine unendliche Fülle an Meinungen, die Vernunft glorifizierend bis hin zu ablehnend. Empathisch emotionalisierende Philosophen und kühl, sachlich argumentierende Philosophen – und sich widersprechende. So sagte der Atheist Bertram Russell, der Mensch sei animal rationale (Vernunfttier) – aber er sei noch nicht auf einen solchen gestoßen.

Religion und Philosophie – es handelt sich um zwei verschiedene Zugangsweisen zur Welt, die allerdings in den einzelnen Menschen zusammengeführt werden können, weil das Spektrum sowohl der Religionen als auch der Philosophien sehr vielfältig ist.

Aufgabe 10:
Ist es richtig, Religion und Philosophie einander gegenüberzustellen, obgleich sie grundlegende unterschiedliche Ansätze haben? (Ihr habt den Ausschnitt aus der religiösen Sicht – die Predigt von Huber – gelesen und den Ausschnitt aus der philosophischen Darlegung von Leibniz.) der Text von Huber: https://mini.evangelische-religion.de/theodizee/ (E-Ethik) Begründe Deine Sicht.

7c. Rationale, authentische, empathische Theodizee

Von rationalen Verstehensversuchen zu unterscheiden ist die authentische Theodizee, also die Zeit, in der man mit dem Leiden welcher Art auch immer selbst verwoben ist. Dann genügen oft rationale Antworten nicht, man muss sich Antworten, die in der jeweiligen Not-Situation plausibel erscheinen, erkämpfen. Vielleicht auf der Basis der rationalen Antworten. Schmerz ist subjektiv, lässt sich nicht verobjektivieren. Und der Mensch, der Schmerz erlebt, ist ein Individuum, das diesen subjektiven Schmerz verarbeiten muss. Und viele Menschen versuchen das in ihrer jeweiligen individuellen Beziehung zu Gott.

Und die jeweiligen Antworten, die man sich für sein eigenes Leben und Leiden gibt, können andere als zynisch, als kurios, als unzureichend wie auch immer interpretieren. Glaubende selbst bleiben nicht bei einer Antwort stehen, sondern erkämpfen sich aus der Beziehung zu Gott heraus weitere Antworten, verwerfen alte Antworten. Sie wachsen in der Auseinandersetzung mit Gott. Die Beziehung zu Gott ist lebendig, nicht statisch und starr. Sie ist Teil des Lebens. Sie kann auch von Gott wegführen in die säkulare bzw. dann strenger in die atheistische Weltanschauung.

Man kann freilich auch sagen: Lasst Gott aus dem Spiel, dann wird alles einfacher. Diese Aussage kann sowohl aus frommer Perspektive als auch aus religionskritischer Perspektive gemacht werden. Auch sie mag vielleicht den einen oder anderen in bestimmten Situationen zeitweise befriedigen. Aber der Mensch wird auch diesen Umgang mit dem Leiden als unzureichend und wenig hilfreich ansehen. Welche Antwort auch immer erkämpft wurde, sie ist nur als Durchgangsstadium zu weiteren Versuchen, das Leiden einzuordnen, anzusehen.

(Was authentische Theodizee bedeutet, wird am Beispiel der Mitglieder der Weißen Rose verdeutlicht – keine Pflichtlektüre: https://evangelische-religion.de/ReligionNeu/gott/theodizee-sophie-scholl-weisse-rose/ )

Empathische Theodizee bedeutet: Menschen, die aktuell nicht leiden, stellen sich das Leiden anderer massiv vor. In dieser Vorstellung beginnen sie im Grunde mit den Menschen zu leiden. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Menschen, deren Leiden man sich in seiner persönlichen Situation vorstellt, auch wirklich so leiden müssen. Sie haben vielleicht eine Möglichkeit gefunden, mit dem leiden umzugehen, die ich in meiner empathischen Vorstellung nicht gefunden habe.

Aufgabe 11: (a) Merke Dir diese Fachbegriffe.
(b) Der Philosoph Odo Marquard (+2015) schrieb: „Die Antworten der Theodizee sind… durchweg unzureichend… Darum haben wohl diejenigen recht, die dem Vertrauen auf Gott, also dem Glauben das letzte Wort geben, und das nicht zu können, ist dann das eigentliche Unglück.“ (Schwierigkeiten beim Ja-Sagen, in: W. Oelmüller (Hg.):Theodizee – Gott vor Gericht?, München 1990, 101f.) 
Was sagst Du zu diesem Zitat? Schreibe es vertieft auf.

8. Ausblick: Religion und säkulare Weltanschauungen

Dieser Abschnitt wird eine eigene Ausführung bekommen. Es sei an dieser Stelle nur angemerkt, dass die oben unter 2b kurz geschilderte Hervorhebung der Vernunft weitere Fortschritte machte und dann in der Religionskritik von Feuerbach besonders hervorgehoben wurde. Gott verschwindet immer stärker aus dem Blick, Religion wird als Gefahr für den Menschen angesehen (Marx), Nietzsche stellt den Tod Gottes fest und stellt den Menschen an die Stelle Gottes usw. Die Theodizeefrage ist in diesem Moment der Säkularisierung nur ein kleiner Teil. Wenn wir Zeit haben, werden wir wieder darauf zurückkommen.

Aufgabe 12: Du hast jetzt alles gründlich durchgelesen. Welche Fragen sind gekommen und unbeantwortet? Schreibe sie auf. (Wenn wir wieder Unterricht haben, können wir darüber reden – bzw. ich sehe sie anhand Deiner abgegebenen Darlegungen und werde es dann im Unterricht ansprechen.