Homo Oeconomicus

Homo Oeconomicus

Während die Soziologie Gruppenprozesse und Gruppendynamik untersucht und damit auch die Individuen, die in diesen Gruppenprozessen involviert sind, spielt bei dem Homo Oeconomicus das Individuum keine Rolle, sondern das Ergebnis des Verhaltens einer Gruppe – die Resultate von Gruppenprozessen werden individualisiert, wie der Begriff Homo Oeconomicus ausspricht. Der Homo Oeconomicus ist also kein Mensch, sondern eine zum „Menschen“ gemachte Verhaltensweise, die alles andere (zum Beispiel soziales Miteinander, Moral, Traditionen/Kultur, Psyche) ausblendet.

Was kennzeichnet den von allem anderen reduzierten Homo Oeconomicus laut John Stuart Mill? Er ist lieber reich als arm, arbeitet lieber wenig als viel, konsumiert jetzt, nicht nachher. Der Homo Oeconomicus ist aber nicht nur lieber das eine statt das andere, sondern er handelt möglichst rational, weil er möglichst effektiv ans Ziel seiner eigenen Interessen kommen will. Rational bedeutet hier: Die vorhandenen Ressourcen werden so eingesetzt, dass mit ihnen ein Maximum an Gewinn bzw. Konsum erbracht wird. Um das erreichen zu können, muss er im Besitz sämtlicher Informationen sein, um die beste Entscheidung treffen zu können. Weniger bis gar nicht werden in dieser Rechnung psychische Faktoren berücksichtigt, wie zum Beispiel: Schlechtes Gewissen. Die Menschen sind ihm im Grunde egal – es sei denn, er kann durch die Kooperation mit möglichst wenig Aufwand einen maximalen Nutzen erlangen. Das gilt auch für die Umwelt: Sie ist ihm egal, aber gleichzeitig setzt die Begrenztheit der Ressourcen Grenzen, das heißt er muss sie berücksichtigen, um eben Gewinn maximieren zu können.

Nun hat in unserer Zeit ein Wertewandel stattgefunden: der Mensch wird wichtig, die Umwelt wird wichtig. Aber dieser Wertewandel konnte nur dadurch stattfinden, dass der Homo Oeconomicus die Basis dafür geschaffen hat: Wenn man die Grundbedürfnisse befriedigen kann, dann kann man weiterdenken und Korrekturen anbringen – aber eben immer noch auf der Basis des Homo Oeconomicus. Freilich geht es über die Grundbedürfnisse hinaus – er wendet sich den hohen Bedürfnissen, dem Luxus zu (also eine Luxushierarchie). Wie Henry Ford schon erkannte: Wenn die Arbeiter zu wenig verdienen, können sie nicht das Produkt kaufen – und der Produzent verdient zu wenig, hat somit keine Ressourcen, um in der weiterführend Forschung innovativ tätig zu werden. Wenn also eine Gesellschaft verarmt, kann der Homo Oeconomicus keinen Gewinn machen. Das Problem heute besteht allerdings darin: Wenn eine Gesellschaft verarmt, wird der Homo Oeconomicus den Menschen, die für wenig Geld etwas produzieren, nicht mehr Geld zugestehen, da er das Produkt auf dem weltweiten Markt verkauft, auf dem er mehr Geld dafür bekommt. Das ist sozusagen ein Problem der Globalisierung. Dieses Problem betrifft bislang die ärmeren Länder, sodass es kaum zu einem Problem der reichen Länder, in denen der Homo Oeconomicus überwiegt, geworden ist.

Es gibt Ansätze, dagegen anzugehen, das heißt, der Homo Oeconomicus (der ja nicht nur aus Firmenchefs besteht, sondern aus den Konsumenten der reichen Länder insgesamt, die sozusagen diese Struktur des Homo Oeconomicus verinnerlicht haben) in den reichen Ländern bekommt so eine Art schlechtes Gewissen: Menschen anderer Länder müssen unter den guten Bedingungen arbeiten können, wie die Menschen in den reichen Ländern; oder die Natur muss so wertgeschätzt werden wie in den reichen Ländern – was letztlich aber bedeutet, dass das finanziell die Quadratur des Kreises verlangt.

Allerdings stellt sich die Frage mit Blick auf die Bedürfnishierarchie: Soll es den Menschen in armen Ländern so gut gehen wie den Menschen in reichen Ländern – oder eben nur so gut, dass sie ihre Grundbedürfnisse befriedigen können, und der Homo Oeconomicus im reichen Land ein gutes Gewissen hat? Wie dem auch sei: Der Homo Oeconomicus wird wieder einen neuen Weg finden, der es ihm ermöglicht, aufgrund knapper werdender Ressourcen (sauberes Wasser, keine Atomverstrahlung, gute Luft, Umweltauflagen, Stadt-Land-Problem, Infrastruktur, keine Dürren/Überschwemmungen) möglichst viel Gewinn zu machen, indem er sich dem Wertewandel anpasst.

Wieweit das letztlich möglich ist, ist vom Geschick des Homo Oeconomicus abhängig, der dann auch bereit ist, wenn der Wertewandel in einem Teil der Gesellschaft zu stark wird, sich aus diesem Land zurückzuziehen, um in einem anderen, günstigeren Land zu produzieren. Damit können die Luxus-Bedürfnisse der Menschen in dem reichen Land nicht mehr befriedigt werden – später, angesichts der wirtschaftlichen Abwärtsspirale, auch die Grundbedürfnisse nicht mehr. Allerdings gewinnt der Homo Oeconomicus (wenn auch nur mit großer Anstrengung) der in den ehemals reichen Ländern durch den Wertewandel zusammengefallen ist, in der Gesellschaft langsam wieder Oberwasser, denn er will wieder trotz der Ressourcen-Minimierung maximalen Gewinn erlangen.

Anders gesagt: Die Firmen wandern ab, wenn die Auflagen zu hoch werden, wenn also kein Gewinn mehr zu machen ist. Darum versucht die Politik der reichen Länder die Wirtschaft weltweit zu vereinheitlichen, damit die Firmen nicht abwandern können. Die Politik ist nämlich Teil des Systems des Homo Oeconomicus. Sie versucht allerdings nicht nur den Produzenten Vorschriften zu machen, sondern auch den Konsumenten, wenn beide jeweils nicht dem Kosten-Nutzen-Denken entsprechen (zum Beispiel in Umweltfragen). Die Angst besteht nämlich, dass der Homo Oeconomicus der reichen Länder, falls er nicht befriedigt wird, zu einem reißenden Wolf unter reißenden Wölfen wird (Hobbes: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf).

Aufgaben:

Vergleiche diese Sicht mit dem christlichen Menschenbild https://evangelische-religion.de/christliche-ethik.html .

Wie würde Jesus auf dieses Menschenbild reagieren? https://evangelische-religion.de/ethik—jesus.html

Welche Werte würde Jesus diesem Homo Oeconomicus entgegenstellen?

Unabhängig von dem oben skizzierten Homo Oeconomicus ist der Mensch ein handelndes Wesen:

Der Mensch muss seinen Unterhalt bestreiten, darum muss er arbeiten – und die meisten Menschen tun das auch. Sie bieten an, was sie landwirtschaftlich produziert haben, andere benötigen das und darum kann sich der Mensch, der seine landwirtschaftlichen Waren angeboten hat, wieder etwas von einem anderen besorgen, er kann bezahlen oder tauschen. Menschen vernetzen sich, indem jeder etwas zum Überleben des anderen beiträgt. Neben landwirtschaftlichen Produkten kamen handwerkliche Produkte dazu (Töpfer, Schmuckhersteller, Zimmermänner…), zudem Dienstleistungen: Menschen, die selbst nichts produzieren, aber verwalten (Verwalter, Organisatoren), schreiben (Schreiber) und seelische Bedürfnisse (Priester) und körperliche Bedürfnisse (Hygiene) der Menschen befriedigten, der Verteidigung dienten (Soldaten) und dem Recht (Richter). Es entstand ein Wirtschaftssystem aus Selbständigen, Angestellten, Sklaven. Um überleben zu können, musste man allerdings etwas anbieten, das auch nachgefragt wurde. Entsprechend musste der Mensch kreativ werden. Wirtschaft und Gesellschaft lassen sich nicht auseinander dividieren.

Die wirtschaftlichen Prozesse der Vergangenheit untersucht die Wirtschaftsgeschichte. Die wirtschaftliche Gegenwart in verschiedensten Bereichen untersuchen die Wirtschaftswissenschaften, zum Beispiel die Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaft, Finanzwissenschaft. Die Wirtschaftstheorie versucht die Zusammenhänge herauszuarbeiten, Wirtschaftspolitik nimmt die Zukunft in den Blick. All das beschreibend (deskriptiv), theoretisch, aufs praktische Handeln bezogen (pragmatisch) und normativ.

Aufgaben:

Aus welchen Bereichen entnimmt Jesus viele Themen seiner Gleichnisse? (Siehe Markus 4; Matthäus 18,21ff.; Matthäus 20,1ff.)

Wie sieht Jesus das Thema: Arm-Reich? (Matthäus 6; Lukas 12,16ff.; Lukas 16,19ff.; Lukas 18,18ff.)

Paulus schreibt mit einem Sprichwort. Dem Ochsen, der drischt, sollst du nicht das Maul verbinden. Ein Schüler des Paulus schreibt: Arbeite, damit du etwas hast, das du teilen kannst. Nimm  Stellung zu diesen Aussagen.

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Angedacht

Am Rande sei auch auf den Homo aedificus hingewiesen. Den Begriff habe ich geprägt – vielleicht gibt es einen entsprechenden schon, der Folgendes kennzeichnet: Der Mensch muss bauen. Er baut nicht nur Häuser und Fabrikanlagen, er baut nicht allein Straßen, er begradigt Flüsse, baut Deiche und Staumauern, baut Brücken und Tunnel. Alles unterbaut, überbaut und durchwühlt er. Er fällt die Wälder – und bebaut sie selbst nach eigenem Gutdünken – macht aus wilden Wäldern Parkanlagen, die besser kontrolliert werden können. Macht aus wilden Herden ein Teil seines Zoos und beschneit die Berge dort, wo er es will. Er baut, damit er das Wetter kontrollieren kann, die Meere, die Erde. Er ist ein Natur-Kontroll-Freak. Und wenn er Natur begegnet, sie fotografiert, dann macht er sie „schöner“ mit Bearbeitungsprogrammen. (Auch er selbst nimmt sich nicht so, wie er ist.) Damit verliert er auch etwas: Die Ahnung, dass er Teil der Natur ist, dass die Natur größer ist als er. Er kann nicht mehr durchatmen, nicht mehr durch sich hindurch strömen lassen, was vor wenigen Jahrhunderten noch naturtheologische Erfahrung war: Natur als Ort der Begegnung mit Gott. Rückzugsort für das Gebet, das Alleinsein mit Gott. Er begegnet überall nur sich selbst.

Aber der Mensch ist flexibel, Gott ist flexibel. Er wird sich immer zur Sprache bringen. Dass der Mensch Sehnsucht hat nach Natur, das bricht immer wieder hervor. Aber eben: Nach kontrollierbarer Natur. Zumindest im Augenblick.