Biblische Geschichten 3: Hermeneutik

Einleitung

Wir beschäftigen uns in Reli vielfach mit alten Texten. Menschen haben nicht immer Texte aufgeschrieben. Bevor die Schrift erfunden wurde, haben Menschen die Texte weitererzählt. Unsere Texte stammen zum Teil aus Zeiten, in denen Menschen noch nichts aufgeschrieben, sondern nur erzählt haben. Nun müssen wir herausfinden: Wann sind die erzählten und verschriftlichten Texte entstanden, was wollten sie den Menschen vor vielen tausend Jahren sagen – und was wollen sie uns heute sagen?

Warum ist das wichtig? Es gibt doch so viele moderne Texte, genügen sie nicht? Das Besondere an uns Menschen ist: Wir kennen „Zeit“. Wir leben aus der Vergangenheit in der Gegenwart – und wir leben in der Gegenwart mit Blick auf die Zukunft. Die Vergangenheit prägt uns. Menschen der Vergangenheit haben Erfahrungen gemacht, die uns heute weiter helfen können. Wie geht man um mit Angst, wie geht man um mit Gefahren? Was kann man machen, wenn man traurig ist? Wie kann man glücklich werden? Die Texte heute zu diesen Themen basieren auf den Erfahrungen der Vorfahren.

Die biblischen Texte haben unsere Kultur, unsere Gesellschaft massiv geprägt. Vieles können wir ohne die alten Texte gar nicht verstehen.

Zum Beispiel finden wir im Grundgesetz die Aussage: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Was bedeutet aber „Würde“? Wie kommen wir dazu zu sagen, dass alle Menschen gleiche Würde haben? Das hängt mit dem Alten Testament zusammen. Dort heißt es, dass jeder Mensch Ebenbild Gottes ist. Alle Menschen sind also gleich viel wert. Jesus Christus hat uns dann, wie schon Propheten vor ihm, gezeigt, was das heißt. Christen haben später gesagt: Gott wurde in Jesus Christus Mensch – also sind alle Menschen gleich viel wert. Und so hat sich im Laufe unserer christlichen Tradition immer stärker diese Sicht von der gleichen Würde aller herausgebildet.

Etwas anderes ist noch zu berücksichtigen: Der Gott, von dem die Menschen in diesen alten Texten berichten, ist derselbe Gott, an den Menschen heute glauben. Die Erfahrungen, die Menschen mit Gott vor langer Zeit gemacht haben, helfen uns heute im Glauben voran zu kommen.

Und was bedeutet nun „Hermeneutik„?

Das Wort bedeutet: Wenn man das, was die alten Texte sagen, herausgearbeitet hat, fragt man: Was will uns der Text heute sagen? Welche Bedeutung hat der Text für mich in der Gegenwart? Das wird an ein paar Beispielen, die Ihr zum Teil schon ein wenig kennt, dargestellt.

Aufgabe:
Schreibe diesen kursiv gedruckten Satz ab: „Hermeneutik bedeutet: …“

Jakob und Esau

Jakob und Esau waren Brüder. Esau war der ältere Bruder. Er sollte alles erben. Doch als er einmal hungrig von der Jagd heimkehrte, bot ihm Jakob eine Linsensuppe an: Unter einer Bedingung darfst du essen, sagte er, gib mir dein Erbe. Und Esau ging auf den Handel ein. Als sein Vater Isaak im Sterben lag, wollte er Esau als Erstgeborenen noch einmal segnen, das Erbe geben, und etwas von dem gejagten Wild essen. Als Jakob davon erfuhr, verkleidete er sich als Esau und brachte seinem Vater eine Mahlzeit. Isaak war blind und dachte, Esau sei bei ihm, er aß und segnete Jakob, gab ihm das Erbe. Als Esau das erfuhr, war er sauer. Er war so sauer, dass Jakob Angst bekam und weit weg zu seinen Verwandten zog. Auf dem Weg zu seinen Verwandten erschien ihm während er schlief Gott im Traum: Engel stiegen auf einer Leiter vom Himmel herab und zum Himmel hinauf. Und Gott versprach dem Jakob, er werde ihn beschützen. Jakob war darüber glücklich und dankbar und wanderte weiter. Als er zu seinen Verwandten kam, arbeitete er hart, um ein Mädchen, Rahel, heiraten zu können. Und als er genug gearbeitet hatte, war die Heirat, doch ihm wurde ein anderes Mädchen, Lea, gegeben. Dann arbeitete er noch einmal hart und lange, so sehr liebte er das andere Mädchen Rahel – und dann durfte er es heiraten. Dann hatte er Sehnsucht nach zu Hause – aber gleichzeitig auch Angst. Und mit seinen beiden Frauen und seinen Viehherden zog er heim. Unterwegs begegnete er seinem Bruder Esau, er schenkte ihm zur Buße viele seiner Tiere. Esau verzieh ihm. Gott hatte ihn auf seinen schweren Lebenswegen beschützt.

Wie ging es weiter? Jakob bekam ganz viele Kinder, darunter 12 Söhne. Und diese Söhne gingen in einer Hungersnot nach Ägypten. Die Ägypter versklavten die Söhne und deren Nachkommen. Dann wurde Moses geboren, der das Volk Israel aus der Sklaverei befreite.

Was will uns die Geschichte sagen? Obwohl Jakob sich gegenüber seinem Vater und Bruder nicht richtig benommen hatte, begleitete ihn Gott. Auch wenn Jakob es sehr schwer hatte: Gott war ihm immer nah. Aber er musste sich bei seinem Bruder entschuldigen – und auch dabei beschützte ihn Gott. – Und Gott, der damals Jakob nahe war, ist auch bis in die Gegenwart hinein Menschen nahe. Das auch dann, wenn Menschen nicht gut handeln, ihr Leben schwer ist.

David + Samuel: Der Unbeachtete wird König

David war Sohn des Isai. Er hatte viele Geschwister. Wie seine Brüder war auch David Hirte und beschützte seine Herde.

Eines Tages sprach Gott mit dem Propheten Samuel: Samuel, geh hin und salbe einen der Söhne des Isai zum König. Samuel zog los. Als er bei der Familie angekommen war, sagte er zu Isai: Bring mir alle deine Söhne, Gott will einen von ihnen zum König von Israel machen. Isai rief seine Söhne herbei. Samuel ging zum ersten Sohn – doch Gott sagte: den meine ich nicht. Dann ging Samuel zum nächsten Sohn – doch Gott sagte wieder: den meine ich nicht. Dann hatte Samuel alle Söhne angeschaut, doch Gott wollte keinen von ihnen zum König salben lassen. Da war Samuel ganz ratlos und fragte Isai: Sind das wirklich alle deine Söhne? Da sagte Isai: Nein, einer fehlt noch, der jüngste, David, der ist draußen bei der Herde. Samuel ließ ihn herbeirufen. Als David ankam, sagte Gott zu Samuel: Diesen sollst du zum König salben. Und so wurde der kleinste der Kinder Isais zum König gesalbt.

Was will die Geschichte sagen? Gott sieht nicht nur das, was der Mensch sieht, er achtet auch auf die Menschen, die nicht so geachtet werden.

David + Goliath: Der Verspottete besiegt den Spötter

David war zwar zum König gesalbt worden, aber noch herrschte ein anderer als König über Israel: Saul. Immer wieder wurde Israel von den Philistern überfallen. Die Philister waren so stark, dass sie nie richtig besiegt werden konnten. Auch jetzt war es wieder soweit: Sie fielen über Israel her. Einer der Philister war ein sehr großer starker Mann. Er hieß Goliath. Die Israeliten und auch Saul hatten Angst vor diesem Mann und wagten es nicht, gegen ihn zu kämpfen. Goliath wurde übermütig: Er machte sich über die schwachen Israeliten lustig und verspottete Gott, der so ein schwaches Volk auserwählt hat. Eines Tages brachte David seinen Brüdern, die gemeinsam mit Saul die Philister bekämpfen wollten, Nahrungsmittel. Und da sah er diesen starken Mann und hörte, wie der sich über Gott und sein Volk lustig machte. Er sah die Angst der Soldaten und sagte: Das gibt’s doch gar nicht! Ich werde ihn bekämpfen. Goliath hatte schwere Waffen bei sich, hatte eine Rüstung an. Und Saul wollte, dass auch David so ausgerüstet würde. Doch das war David alles viel zu schwer. Er zog das wieder aus und nahm seine Steinschleuder, mit der er sonst immer wilde Tiere von seiner Herde fernhielt. Er ging zu Goliath. Als dieser den jungen David sah, der ihn zum Kampf herausforderte, konnte er sich kaum einhalten vor Lachen. Doch David nahm seine Schleuder und besiegte Goliath. Dann bekamen die Philister Angst und flohen. Israel war gerettet.

Was will uns die Geschichte sagen? Gott hilft seinem Volk. Auch wenn es klein und gering ist, wenn es verspottet wird: Im Vertrauen auf Gott siegt es – allerdings kann das Leben in Angst und Not bis es soweit ist lange dauern. Der Gott Israels – auch unser Gott – hat einen Namen. Er heißt: Jahwe. Wir wissen nicht genau, was er bedeutet. Aber er könnte bedeuten: „Ich werde sein, als der ich mich erweisen werde“ oder: „Ich bin, der ich bin“. Die erste Interpretation sagt aus: Man soll geduldig sein, Gott zeigt sich in der Zukunft.

David + Jonathan: Freundschaft

Nachdem der König Saul auf David aufmerksam geworden war, bewunderte er diesen Jungen. Er holte ihn in seinen Königspalast. David konnte gut singen – und jedes Mal, wenn der König schlechte Laune hatte, sollte David ihm Lieder singen, damit der König wieder munter wird. Es kam jedoch so, dass alle Menschen David bewunderten. Das machte den König ärgerlich: Sie sollten ihn, den König, bewundern; nicht den David. Da warf er mit seinem Speer auf David – und David floh. Er hatte aber einen sehr guten Freund gewonnen: Einen Sohn von König Saul, den Jonathan. David war also geflohen und traf sich heimlich mit Jonathan: Jonathan, kannst du herausbekommen, ob der König noch sauer auf mich ist? Wenn nicht, dann schieße zum Zeichen mit dem Pfeil in die Richtung eures Palastes. Wenn er noch sauer auf mich ist, dann schieße in meine Richtung. Nachdem Jonathan herausgefunden hatte, dass Saul immer noch sauer auf David war und ihn am liebsten umbringen wollte, ging Jonathan hinaus und schoss einen Pfeil in Davids Richtung. Da wusste David, dass er nicht mehr an den Palast zurück gehen konnte. Er traf sich noch einmal heimlich mit Jonathan und beide Freunde verabschiedeten sich voneinander.

Was will uns die Geschichte sagen? Auch Menschen, die Gott ausgewählt hat, leben gefährlich und müssen klug sein, damit sie von den Gefahren weg kommen. Doch Gott kann ihnen Freunde geben, die ihnen helfen. Wenn Freunde gemeinsam auch Gottes Freunde sind, dann hält die Freundschaft auch dann, wenn alles schwer wird.

David verschont den Feind Saul

Der König Saul verfolgte David, um ihn zu töten. Er suchte ihn mit seinen Soldaten überall. Während der Verfolgung geschah es, dass David sich mit seinen Begleitern tief in einer Höhle versteckt hatte. Und Saul musste mal dringend. Er ging in eine Höhle, damit ihn die anderen nicht sehen. Er legte seine Bekleidung ab und verrichtete sein Geschäft. Das war jedoch gerade die Höhle, in der sich David versteckt hatte. Da flüsterten Davids Freunde: „Das ist die Gelegenheit, Saul umzubringen!“ David schlich zu den abgelegten Kleidern und schnitt ein Stückchen davon ab. Dann krabbelte er wieder zurück. Und flüsterte seinen Gefährten zu: „Gott hat Saul zum König eingesetzt, darum darf ich ihn nicht töten.“ Nachdem Saul sein Geschäft erledigt hatte, zog er sich wieder an und verließ die Höhle. David kam mit dem herausgeschnittenen Stofffetzen aus der Höhle und rief hinter Saul her: „Warum glaubst du, dass ich dich umbringen will? Ich hätte es tun können – aber habe es nicht getan. Gott soll dich dafür strafen, dass du mir immer Unrecht tust. Ich tue es nicht!“ Da bekam Saul ein schlechtes Gewissen, er bereute sein Tun und sagte: „Du bist ein besserer Mensch als ich. Gott soll dich belohnen, ich werde dir kein Haar krümmen! Ich weiß: Du wirst nach mir König sein, und ich bitte dich: Verschone meine Familie.“ Das schwor David, dass er der Familie Sauls kein Leid antun wird, wenn er als König herrscht.

Was will die Geschichte sagen? Große Menschen tun Gottes Willen. Wie David sollen alle Menschen handeln. Auch Könige. Der spätere Nachkomme von David, Jesus, hat gelehrt, dass der Mensch den Feind lieben solle. Und er selbst hat das Böse durch Liebe besiegt. Liebe ist stärker als das Böse. Auch wenn es nicht immer so aussieht: Menschen, die den Feind lieben, sind stärker, mutiger, tapferer als diejenigen, die einfach drauflos hauen.

Aufgaben:
(a) Nun hast Du ganz viel gelesen. Schreibe die kursiv gedruckten Texte (ab Jakob und Esau) ab. Umrande sie kunstvoll mit einem schön gezeichneten Rahmen.

(b) Suche Dir einen Satz aus, den Du Dir als Merksatz aufschreibst. Gestalte ihn kunstvoll!
(c) Freiwillig: Wenn Du mehr über Hermeneutik erfahren willst, dann schaue hier nach: https://mini.evangelische-religion.de/hermeneutik-grundsaetzliche-einfuehrung/