Lebte Jesus?

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NOTIZ: HAT JESUS VON NAZARETH WIRKLICH GELEBT?

In der Zeit vor der Historisch-Kritischen-Exegese staunte man über die Größe, die Bedeutung dieses Menschen Jesus von Nazareth – und dass er gelebt hat, war zumindest für Jean-Jacques Rousseau (Émile) klar: So etwas Großartiges könne man sich nicht ausdenken, eine solche Lieblichkeit, Reinheit im Verhalten, Anmut in den Forderungen, Erhabenheit in den Prinzipien, Weisheit, Geistesgegenwart, Scharfsinn, Kontrolle über Leidenschaften… – der Autor, der sich so etwas ausgedacht hätte, wäre größer als sein Held. 

Seither hat man jedoch wissenschaftlich haltbare Kriterien gefunden, um zu belegen, dass Jesus von Nazareth wirklich gelebt hat.

1. Zunächst innere Kriterien und äußere Kriterien

Innere Kriterien werden zum Beispiel aus den Texten – hier Evangelien – selbst erhoben: Welcher Gattung gehören sie an? Geht es um Romane, Erzählungen – oder um biographische Texte? Geben sie ein in sich geschlossenes Bild – das bei Romanen abgerundeter ist als bei biographischen Texten, in denen Gedankensprünge, Ungereimtheiten, Sackgassen-Themen eher zu finden sind, weil das Leben eben nicht so abgerundet präsentiert werden kann wie ein Roman?

Äußere Kriterien untersuchen, ob die Aussagen des Textes mit anderen unabhängigen Überlieferungen übereinstimmen, ob es archäologische Belege für die Aussagen des Textes gibt. Dazu gehört auch eine Untersuchung des Überlieferungsweges und dessen Vertrauenswürdigkeit.

2. Fragen nach dem Historischen Jesus (siehe unten: Vertiefung)

(s. https://evangelische-religion.de/ReligionNeu/jesus-christus/jesus-in-der-bibel/ )

Zu 1.: Innere Kriterien: Es ist deutlich, dass die Evangelien aus tradiertem Material versuchen, etwas Abgerundetes zu schaffen. Dass vorliegendes Material verarbeitet wurde und dass die Evangelien bzw. das erste Evangelium nicht als Roman, Erzählung konzipiert wurde, lässt sich an zahlreichen Spannungen und Sackgassen-Themen erkennen. Sackgassen-Themen sind Themen, die angesprochen aber im Werk nicht weiter ausgeführt werden. Wesentlich ist zudem, dass die einzelnen Erzählungen jeweils Lokalkolorit (Ort-Färbung) aufweisen: Geschichten aus dem Bereich des Sees Genezareth haben andere Erzähl-Elemente als Geschichten aus dem heidnischen Bereich (Dekapolis) bzw. aus dem Jericho/Bethanien/Jerusalem-Bereich. Das heißt mit Blick auf Wunder Jesu: Er hat überall Wunder gewirkt – sie wurden aber mit ein paar unterschiedlichen Elementen  (je nach Entstehungsort) erzählt. Die Evangelien selbst gehören der Gattung / dem Genre Biographie an, so wie in der Antike biographische Texte geschrieben wurden. Sie unterscheiden sich von Mythen.

Äußere Kriterien: Aussagen über die Landschaft, Brunnen, Stadtmauern, politische und gesellschaftliche Situation in den jeweiligen Gebieten, lassen sich nachweisen. So ist zum Beispiel in Kapernaum tatsächlich römisches Heer stationiert gewesen, Nazareth liegt in hügligem Gebiet…

Zu den äußeren Kriterien ist auch zu zählen, dass es ab dem 2. Jahrhundert eine nachweisbare Überlieferungskette gegeben hat. Auch wenn diese hier und da nachträglich geschönt worden sein kann, wird doch sichtbar, dass es innerhalb der ca. 50-70 Jahre nach Niederschrift der Evangelien Versuche gab, die Überlieferung zu sichern: Apostel > Apostelschüler (Evangelisten) > Schüler der Apostelschüler > Rückblick (Papias, Polycarp, Irenäus) – kurz: Man kannte sich noch. Der Schüler berichtet von seinem Lehrer, der noch einen Apostel gekannt hat, der Jünger Jesu war usw.

Zu den äußeren Kriterien gehören die außerneutestamentlichen Jesus-Überlieferungen bzw. zum Teil die parallel zu den Evangelien entstandenen Berichte von Heiden und Juden: Josephus (Jesus, der Christus genannt wird, Bruder des Jakobus [wohl wird der bekanntere Jesus als Bruder genannt, weil man nicht wusste, wessen Sohn er war]) und ebenso ist eine weitere Stelle des Josephus zwar von Christen überarbeitet worden, aber in der Grundlage noch vorhanden (Jesus war ein weiser Mensch, der unglaubliche Taten getan und gelehrt hat und gekreuzigt wurde. Anhänger blieben ihm treu), Tacitus (Christus – unter Pontius Pilatus verurteilt), Sueton (Aufstand der Juden wegen eines Mannes mit Namen Chrestos), Plinius (nach der Folter zweier Christinnen hat er letztlich erfahren: Christen verehren den Menschen Christus und nicht den Kaiser), Thallus (um 50) erwähnt bei der Kreuzigung Jesu eine Sonnenfinsternis (was im Jahr 220 kritisiert wird). Ein Brief bei Mara Bar Serapion (aus dem 1./2. Jahrhundert) erwähnt: Was nutzte den Juden die Hinrichtung ihres weisen Königs? Weitere verneinen Jesu Existenz nicht, so zum Beispiel der Talmud und die großen Christenkritiker Kelsos/Celsus und Lukian von Samosata (beide 2. Jahrhundert).

Weiteres – auch archäologische Funde – siehe: https://jesus-der-christus.org/index.php/Historizit%C3%A4t_Jesu_Christi

Bemerkung: Warum gibt es so wenig Infos außerchristlicher Schriften über Jesus?

Jesus war in seiner Zeit keine große Berühmtheit. Er hat die unwichtigen Leute in der Provinz angesprochen, war in seiner Zeit ein eher unscheinbarer Lehrer, starb am Kreuz. Selbst Aufständische sind häufig nur eine Randnotiz Wert, wenn ihre Taten ihre Zeitgenossen nicht intensiv erregt haben – entsprechend wissen wir von Christen in außerchristlichen Texten im Zusammenhang von Auseinandersetzungen der Gemeinde mit dem Umfeld (Josephus, Sueton, Tacitus, Plinius) – oder auch bedeutende Personen wie König Agrippa wie auch Pilatus werden bei Tacitus nur in einem Satz erwähnt. Leider können wir nicht wissen, was in Jerusalem im Krieg 70 und dem Aufstand 132-135 n.Chr. alles zerstört worden ist. Damit darf man nicht argumentieren (mit dem, was nicht da ist), aber man darf es zu bedenken geben. Es sind insgesamt viele Schriften der Historiker oder Teile davon verloren gegangen. Von dem oben genannten Tacitus fehlen zum Beispiel leider gerade die Aufzeichnungen über die Jahre 29-32. Allerdings: Manchmal wird gesagt: Wir wüssten von Herodes so viel mehr als von Jesus. Er war Herrscher. Aber dennoch: Im Wesentlichen wissen wir von Herodes abgesehen von ein paar Notizen und archäologischen Funden, nur über Josephus, der auch Quellen aufgenommen und eigenständig verarbeitet hat. Von anderen Großen, zum Beispiel Alexander, wissen wir nur aus Quellen, die einige Jahrhunderte nach seinem Leben geschrieben wurden. Sie nahmen zwar ältere Quellen auf, aber von denen weiß man nichts mehr. Ebenso sind die Handschriften mancher Quellen recht jung. Um Tacitus wieder zu erwähnen: die Bücher 11-16 stammen von einer Handschrift aus dem 11. Jahrhundert! Auch das Leben Jesu muss durch diese Brille gesehen werden. Dann staunt man allerdings, was wir alles wissen – und zwar von Quellen, die verhältnismäßig zeitnah entstanden sind.

3. Die Besonderheiten des Menschen Jesus von Nazareth

Dass Jesus in Israel gelebt hat, wird nicht mehr ernsthaft bestritten. Umstritten ist jedoch: Welche Worte und Taten können tatsächlich auf Jesus zurückgeführt werden, was ist später aus dem Glauben der Gemeinde zur Vita Jesu hinzugekommen? Diese Untersuchungen sind äußerst kompliziert und die Fragestellungen wurden unter „Bibel+Jesus“ genannt. Es lässt sich aber ein Duktus erkennen, der Jesus als besonderen Menschen erkennen lässt:

  • Jesus konnte Menschen von Krankheiten befreien – Wunder tun, wie auch immer diese Befreiungstaten zu verstehen sind.
  • Jesus hatte eine besondere Art, alttestamentliche Gebote und das zeitgenössische Gottesbild aufzugreifen und zu prägen.
  • Jesus hatte ein großes Selbstbewusstsein, das es ihm ermöglichte, Jünger/Schüler um sich zu sammeln und sie auszusenden.
  • Jesu Lehre wurde geprägt von der Erwartung der Gottesherrschaft – die mit einer ganz besonderen Ethik zu verbinden ist: Gott liebt – der Mensch liebt. Und mit dem Wort „Liebe“ sind viele Konnotationen verbunden, zum Beispiel: Vergebung, teilen, Gemeinschaft…
  • Leidensbereitschaft um Gottes Willen.

Zudem muss beachtet werden: Wenn ein Autor mit seinem Text bewusst eine Absicht verbindet, dann heißt das bis in die Gegenwart nicht, dass die historischen Hinweise falsch sind. Dann müsste man zum Beispiel sämtlichen Büchern, die vor Faschismus oder Kommunismus warnen, misstrauen.

4. Gemeinde

Die Besonderheiten Jesu führten dazu, dass die Jünger/Schüler und andere nach dem Sterben Jesu seine Sache weiterführten. Doch nicht nur das: Es muss eine besondere Erfahrung vorliegen, dass der hingerichtete Jesus von Gott auferweckt worden ist – zum Christus gemacht wurde. Und diese Erfahrung prägte das Verhalten der Glaubenden und freilich auch die Erzählungen und Berichte über ihn. Doch das nicht gleichermaßen: So gibt es Geschichten, die noch auf den irdischen Jesus zurückgehen neben Geschichten, die den irdischen Jesus mit dem geglaubten Jesus Christus verbinden. Diese Verbindungen finden wir in unterschiedlicher Intention in den Evangelien wieder. Im Johannesevangelium ist sie besonders ausgeprägt. Aus der Perspektive der Auferstehungserfahrung konnten Erlebnisse mit dem irdischen Jesus von Nazareth nachträglich neu gedeutet werden.

Vertiefung:

Zeugen für die Existenz Jesu in den Evangelien und weiteren frühchristlichen Texten

Ein Vorwurf lautet: Nur Markus und der Verfasser der Logienquelle Q bzw. die Überlieferer des jeweiligen Sondergutes zeugen von Jesus. Die Basis, auf der die Jesus-Überlieferungen beruht, ist also sehr klein.

Das muss jedoch differenziert gesehen werden:

1. Markus

Das Markusevangelium nimmt Texte aus unterschiedlichen Orten auf. Nicht Markus hat diese Texte „erfunden“, er hat Überlieferungen aufgegriffen. Das kann man daran erkennen, dass sie unterschiedliche Merkmale aufweisen (z.B. Jericho-Bethanien-Texte nennen Namen, in den Kapernaum-Texten geht es häufiger um Kinder, in Dekapolis-Texten herrscht ein magischeres Verständnis vor usw.):

  1. Nazareth-Bereich
  2. Kapernaum-Bereich
  3. Jericho-Betanien-Jerusalem-Bereich
  4. Dekapolis (heidnisches Umfeld Israels)
  5. Die Eschatologische Rede hat einen eigenen Charakter
  6. Die Auferstehungsgeschichte hat er übernommen

2. Logienquelle (Sammlungen von Worten Jesu – von Zeitgenossen)

Die Logienquelle ist nicht einer Person zuzuordnen. Es lassen sich unterschiedliche Sammlungsstufen erkennen.

3. Sondergut (im Wesentlichen verarbeitete Aussagen Jesu; Gleichnisse. Darüber hinaus Geburtsgeschichten)

Das Sondergut des Matthäus basiert wie das des Lukas auf unterschiedlichen Traditionen. Die jeweiligen Geburtsgeschichten haben z.B. einen anderen theologischen Hintergrund als die eschatologischen Reden im Matthäusevangelium bzw. die Gleichnisse im Lukasevangelium.

4. Paulus (Christ geworden ca. 3-5 Jahre nach Jesu Hinrichtung)

Paulus hat Christen verfolgt und hat von ihnen viel Infos über den christlichen Glauben bekommen und hat diese in Auseinandersetzung mit den Jüngern Jesu in eigenständiger Weise aufgenommen.

5. Johannes (Grundlage der Schrift von einem Jünger, Ergänzungen durch Schüler des Johannes?)

Das Evangelium des Johannes hat eigenständige Traditionen aufgenommen.

6. Weitere neutestamentliche Texte

Neben den genannten Texten haben wir Zeugen Jesu Christi in den Deuteropaulinen (Schriften von Schülern des Paulus), in den Johannesschriften, die unterschiedlichen Autoren zugeordnet werden, vor allem auch die Apostelgeschichte greift vielfältige Traditionen auf.

7. Außerneutestamentlich

gibt es weitere zum Teil recht früh einzuordnende Texte, z.B. das Thomasevangelium, die Oxyrhynchos PapyriBarnabasbriefDidache

8. Fazit:

Das bedeutet: Auch innerhalb neutestamentlicher Texte lassen sich viele Rückschlüsse auf die Existenz Jesu ziehen. Paulus hätte zum Beispiel Christen kaum verfolgt, wenn sie nur einer Phantasiegestalt gefolgt wären – eine solche hätte wahrscheinlich auch in der damaligen Zeit (vor allem in den wenigen Jahrzehnten) keine Anhänger gefunden. Zudem gibt es zahlreiche frühe Überlieferungen, die wir nicht im NT finden. Deutlicher ist jedoch: Es gibt zahlreiche Schriften, die Jesus Christus bezeugen, das sowohl innerhalb als auch außerhalb des NT.

Es sei noch angemerkt, dass etwas eigenartig ist. Die synoptischen Evangelien thematisieren kaum aktuelle Ereignisse der Jahre 70-90. Die Zerstörung Jerusalems, die im Jahr 70 stattgefunden hat, und in die Christen sehr stark aufgrund von Flucht und Bedrängnis involviert waren, wird nur am Rande erwähnt bzw. sacht angedeutet. Innergemeindliche Auseinandersetzungen wie die zwischen Paulus und Jakobus – Heidenmission ja oder nein bzw. der Umgang mit Heiden – spielen auch so gut wie keine Rolle. Die 12 Jünger waren Apostel – nicht Paulus. Augustus und Herodes, Pilatus – Herrscher in der Zeit Jesu sind Thema, nicht aber all die grausamen Herrscher seitdem, unter denen Christen zu leiden hatten. In der Zeit nach der Zerstörung Jerusalems waren nicht Pharisäer die, mit denen sich die Gemeinde auseinanderzusetzen hatte, sondern die Rabbis. Die Evangelien konzentrieren sich auf Jesus und seine Zeit.

*

Hier wird über die Frage nachgedacht: Lebte Jesus?

Ein Aspekt des Clips sei angesprochen: Die Geburtsgeschichte wird von Matthäus und Lukas wiedergegeben. Und das in einer vollkommen unterschiedlichen Version. Gleichzeitig gibt es Gemeinsamkeiten. Das heißt: Es muss eine alte Version gegeben haben, die dann später unabhängig voneinander weiter entwickelt wurde. Beide Evangelisten konnten vermutlich nicht einfach schnell ihre eigene Version statt der bekannten überlieferten Version formulieren. Von daher: greifen beide auf unterschiedliche Erzählungen zurück oder haben sie sie wirklich selbst „erfunden“? Ist das denkbar? Kurz: Die Geburtsgeschichten, wie allgemein üblich schnell abzuhaken, ist aus meiner Perspektive nicht nachzuvollziehen. Und damit hängt auch die Frage zusammen: ist Jesus in Bethlehem oder Nazareth geboren. Die Frage nach der Volkszählung 6 nach Christus – oder vierzehn Jahre vorher, was auch mit Augustus Bestreben zusammenpassen würde – ist ebenso in der Diskussion.

Das ist Wissenschaft: Welche Belege gibt es im Augenblick für die eine oder andere Aussage, dürfen fehlende Belege als Beleg herangezogen werden (auch in Hinsicht darauf, dass etwas, was berichtet wurde, nicht stattfand)? Soweit ich weiß, ist Josephus der Einzige, der von der Volkszählung um 6 nach Christus spricht. Das wird weitgehend akzeptiert. Aber war es vielleicht die zweite Volkszählung? Es wird also hin und her überlegt. Oder ist der Text des Lukas, was auch vorgeschlagen wird, anders zu übersetzen: Jesus ist vor der Volkszählung durch Quirinius geboren? Zu beachten ist, dass Lukas und Josephus Jahrzehnte danach geschrieben haben. Heute wissen Fachleute, was vor ca. 100 Jahren war. Aber damals war es ungemein schwerer, Informationen zu bekommen – die Überprüfung, was nun wie zusammen hing, war auch nicht einfacher. Wobei es ja selbst gegenwärtig auch zu vielen Diskussionen über Sachverhalte vor 90 Jahren kommen kann.

Wissenschaft ist spannend.