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Diskutiere: Dunkles/finsteres Mittelalter?
(Ein paar Anmerkungen zum Mittelalter. Die Namen können als Ausgangspunkt für eigene Recherchen verwendet werden.)
Die Rede vom dunklen Mittelalter ist ideologisierte Rede aus einer Zeit, in der sich junge, strebende, moderne Menschen von den finsteren Alten abgrenzen wollten: Die Alten haben alles schlecht gemacht – wir machen alles besser, so die Menschen der Renaissance (16./17. Jahrhundert). Diese Abgrenzung funktioniert bis heute – allerdings wird die Kirche als solche in den Vordergrund gestellt: Sie sei für das dunkle Mittelalter verantwortlich. Heute sieht man das in der Forschung differenzierter, aber die alten Vorurteile und Fake News sind Teil unserer Kultur geworden, sodass es sehr schwer ist, sie außerhalb der Forschung zu vermitteln. Kirche kam nicht in eine leere Welt, sondern traf auf alte Kulturen, Stämme, Ideen. Und sie konnte nur ganz langsam ihren eigenen christlichen Stempel aufdrücken, vor allem auch darum, weil die Menschen, die aus diesen Bereichen Christen wurden, ihre alten Traditionen mitgebracht haben. Nur langsam konnte sich also alles im christlichen Sinn ändern. Die Welt des Mittelalters war nicht per se christlich, sondern, wie zum Beispiel die Rechtsgeschichte zeigt, auch abhängig von dem bis dato geltenden weltlichem Recht. Bis heute ist eine christianisierte Welt nicht christlich, man denke nur daran, wie viele Menschen heute noch als Sklaven leben müssen. Das kann man nicht so schnell ändern. Man denke an die Atomwaffen – daran ist nichts christlich, aber was muss nicht alles geschehen, damit das geändert wird?
Geschichte – Menschen entwickeln sich
In den 1000 Jahren des Mittelalters gab es unterschiedliche Zeiten, helle und dunkle, wie es in den 200 Jahren seit der Aufklärung auch helle und dunkle Zeiten gab: Die Aufklärung wird verbunden mit der Französischen Revolution – damit bekanntlich mit Mord und Totschlag; Nationalsozialisten und Kommunisten versuchten ihre Ideologien mit Mord, Totschlag, Entrechtung und Willkür durchzusetzen – im Mittelalter gab es kaum schlimmere Zeiten. Geprägt war die Zeit des Mittelalters davon, dass man überleben musste: Hungerzeiten, Krankheiten, Epidemien, Wetterkapriolen… erschwerten das Leben. Und in dieser Zeit lebte man in anderen Herrschafts- und Rechtssystemen als heute. Menschheitsgeschichte ist Entwicklungsgeschichte. Es war kein toller Kerl da, der damals unsere gegenwärtige glorifizierte Zeit aus dem Ärmel schütteln konnte.
Wir leben heute aufgrund vieler Erfindungen des Mittelalters, und sei es aufgrund der Beobachtung, dass es besser ist, Vieh im Stall zu halten, weil man dadurch Dünger für die Felder bekommt. Und Dünger für die Felder bedeutete mehr Ertrag, mehr Ertrag bedeutete mehr Nahrung und mehr Reichtum… (Was man heute freilich nicht mehr so positiv sieht, weil man Kunstdünger hat.) Das betrifft auch das Recht: Recht musste sich entwickeln. Römisches Recht war nicht ganz einfach den germanischen Traditionen (lokales Recht: Recht ist, was Brauch ist) überzustülpen. Es mussten mühsam vereinheitlicht werden: Germanische Bräuche, Bibel, Römisches Recht… Das Inquisitionsverfahren betraf zunächst nur Theologen (Ketzer), die (vom Brauch) abweichende Meinungen vertraten. Es diente dazu, den Angeklagten zu einem Geständnis zu bringen – es ging somit nicht mehr um ein irrationales Rechtsverfahren (Gottesurteil), sondern im Gegenteil darum, logisch, rational die ganze Angelegenheit zu durchdringen. Es war somit ein fortschrittliches Verfahren. Nichtsdestotrotz war es ein ungerechtes Verfahren – und so ist dieses System im 18. Jahrhundert auch abgeschafft worden: Aber es war ein Mosaiksteinchen in der Weiterentwicklung des Rechts.
Mittelalter – Zeit des Übergangs
Mittelalter – die Zeit zwischen 500 und 1500. Wie christlich war Europa eigentlich? Italien und die Staaten, die zum römischen Reich gehörten, zeigen, dass Konstantin der Große auf das Christentum setzte, um das Reich zu stabilisieren, weil es schon eine verhältnismäßig starke Macht war. Aber es war alles im Fluss, im Übergang. Auch so große Menschen wie zum Beispiel Boethius (+524?) waren Christen – aber dann doch stark an ihre heidnische Tradition gebunden. Das Christentum begann langsam die heidnische Philosophie zu beeinflussen: Plotin (+270), der Neuplatoniker, hatte einen Lehrer christlicher Abstammung – und diese Philosophie beeinflusste viele (nicht nur christliche) Denker in den späteren Jahrhunderten.
Langsam beeinflusste das Christentum auch die Ethik – und diese war es vielfach, die die Menschen bewundert haben: In all dem sexuellen Chaos wurden Enthaltsamkeit und Ehe betont, in all der Menschenverachtung wurden ausgesetzte Kinder aufgenommen, treues, gewissenhaftes Arbeiten – welcher Arbeit man auch immer nachgeht – wurde gefordert; die Gleichheit und Gemeinschaft der Menschen: Mann und Frau, Sklave und Freier, Grieche und Nichtgrieche; Kranke und Sterbende wurden gepflegt; keiner durfte verachtet werden… Einzelne Menschen versuchten, in all den täglichen Grausamkeiten etwas Neues zu leben: den Willen Gottes, die Liebe. Und diese Liebe Gottes zu den Menschen, die auch von Menschen entsprechendes Verhalten forderte – das war eine Erneuerung, die in der heidnischen Umwelt ihresgleichen suchte. Jeder Mensch konnte wissen: Ich bin für Gott wertvoll und werde darum auch für andere Wertvolles tun. Dass diese Ethik freilich nicht alle angesprochen hat, dass – vor allem dann, als das Christentum politische Macht bekommen hatte – auch so mancher sich nur mit christlicher Farbe angepinselt hatte, ist klar. So gab es nicht nur auf der unteren gesellschaftlichen Ebene massive Grausamkeiten, sondern auch unter den Herrschern zur Sicherung der Macht. So musste zum Beispiel Johannes Chrysostomos (+407) vieles erleiden, weil er sich nicht scheute, selbst der „christlichen” Kaiserin und dem Kaiser wie auch anderen Mächtigen und Reichen massive Vorhaltungen wegen ihres unchristlichen und unmenschlichen Handelns zu machen.
Ein paar Daten bis zum 10. Jahrhundert
Im 4. Jahrhundert missionierte der arianische Christ Wulfila bei den Goten und übersetzte die Bibel. Arianisches Christentum war auch unter anderen germanischen Stämmen verbreitet – aber nicht unbedingt Leben bestimmend.
Im 5. Jahrhundert: Der Frankenherrscher Chlodwig wurde getauft. Anfang des 5. Jahrhunderts kam das Christentum nach Irland.
Im 8. Jahrhundert missionierte Bonifatius in Mitteleuropa und gründete einzelne Klöster. Mit ihm kam unter anderen auch die mit ihm verwandte missionierende Lioba. Im 8. Jahrhundert wurden die Sachsen und Friesen von den christlichen Franken unterworfen.
Im 9. Jahrhundert wurde Schweden missioniert – übrigens überfielen in diesem Jahrhundert Wickinger Hamburg. Im 9. Jahrhundert wurden mit Unterstützung von Ludwig dem Frommen Reformen in Klöstern aufgrund der Benediktinischen Regel durchgeführt und ebenso wurde für den nichtmonastischen Klerus eine Norm für Lebensführung eingeführt – was aber alles nicht lange eingehalten wurde.
Im 10. Jahrhundert wurde der Dänenkönig Harald Blauzahn (Bluetooth) getauft. In diesem Jahrhundert wurden Polen und Russland christianisiert – der übrigens durch einen Papst ermahnt wurde, Frauen – wie es die Tradition forderte – nicht mehr als Hexen zu verfolgen.
Ein paar zufällig gewählte Namen, die die Situation im frühen Mittelalter verdeutlichen:
Irmina von Oehren (+ 704/710) ist eine bedeutende Frau gewesen – nicht nur, weil sie eine Vorfahre Karls des Großen war. Sie war auch Mitbegründerin eines Klosters (Echternach), sie war Äbtissin in einem Kloster bei Trier – und drei ihrer Töchter gründeten ebenfalls Klöster bzw. Abteien.
Die heilige Amalberga von Maubeuge (um 600- um 690) hatte als Tochter die spätere heilige Gudula und als Sohn den heiligen Reineldis. Die heilige Gudula wurde von der Heiligen Gertrud von Nivelles (626-653/9) (Germanische Isis) erzogen, die sich intensiv um die Bildung der Mädchen kümmerte, sogar Bücher aus Rom kommen ließ. Ebenso kümmerte sich die junge Frau um Kranke, Witwen und Gefangene.
Die heilige Bertha heiratete einen Heiden und erzog ihren Sohn im christlichen Glauben: den heiligen Rupert von Bingen (* 712-732?).
Spannend ist ebenso das Leben von Clothilde (Chrodechild) von Burgund (+544) und das von Radegund von Thüringen (+587) (dazu siehe https://evangelische-religion.de/ReligionNeu/kirche/mittelalter-kaiser-und-kunst/ .
Der heilige Maternus war der dritte Bischof von Trier und der erste von Köln (+328?); der heilige Alban von Mainz, der möglicherweise 406 bei einem Angriff durch arianische Vandalen (Christen) ermordet wurde. Und die Vita des Theonestus von Mainz zeigt Erstaunliches: Er war Bischof in Philippi, kam über Burgund nach Trier und Mainz. Er floh mit anderen vor den Vandalen nach Oberitalien und wurde dort von den Vandalen enthauptet. (Aufgabe: Verfolge das auf der Landkarte!) Ebenso erging es dem Bischof Aureus mit seiner Schwester Justina (436?) und anderen – aber all das liegt im Dunkel der Legenden verborgen.
Fridolin von Säckingen (+ 538), ein Ire, gründete in Baden Württemberg das Kloster Säckingen, von dort aus wurde Baden Württemberg missioniert.
Der Burgunder Sigismund hat sich gegen den Willen seines arianischen Vaters katholisch taufen lassen und stiftete ein Kloster. Er hat seinen Sohn wegen Verrats töten lassen – und wurde 524 selbst mit seiner Familie kopfüber in einen Brunnen geworfen und ist gestorben. Er wurde zum Heiligen – warum auch immer.
Zusammenfassung
Wenn ein Land missioniert wurde, einzelne Klöster errichtet wurden, Herrscher sich taufen ließen – dann war die Bevölkerung lange noch nicht christlich orientiert. Und das war ein langer Weg, auf dem die Klöster mit ihrer Bildungsoffensive Großartiges geleistet haben. Das war ein langer Weg des Ringens: Priester mussten lesen können (Bibel), kirchliche Würdenträger mussten wirklich kirchliche Würdenträger werden und nicht als Adlige der verlängerte Arm der weltlichen Herrscher bleiben, Mönche und Klerus mussten erst einmal gezeigt bekommen, wes Geistes Kind sie sind… – Es gibt großartige Leuchttürme in der Geschichte: Eben Klöster, Hochschulen, Architektur, Maler, Schriftsteller, einzelne Fromme – aber bis der eigentliche christliche Glaube langsam die Kultur in der Tiefe zu ändern begann, dauerte es seine Zeit. Und wir leben heute davon recht gut – und merken freilich, dass sich Menschen andere, nichtchristliche Wege (Nationalismus, Nationalsozialismus, Kommunismus/Sozialismus, Kapitalismus, ideologischer Liberalismus) suchen. Auch sie haben in der Vergangenheit zum Teil schon zu Millionen Toten geführt – wo sie wohl enden werden? In größerer Freiheit? Positiv ist auf jeden Fall, dass sie dazu beigetragen haben, dass das Christentum seine eigenen Fehler, seine eigene Schuld, die es im Mittelalter auf sich geladen hat, sehen lernte.