Zusammenfassung
Jesu Lehre hatte unterschiedliche Strömungen zur Folge:
1. Individual-pazifistischer Ansatz:
Jesus lehrte laut Bergpredigt, dass man nicht vergelten sollte, wenn einem Unrecht zugefügt wird (5. Antithese). Ebenso lehrte er die Feindesliebe (6. Antithese) und die Goldene Regel, laut der Menschen anderen das tun sollen, was man von ihnen erwartet. Diese Lehre der Bergpredigt wird durch sein eigenes Verhalten bestätigt: Er wehrte sich nicht gegen seine Verhaftung und Kreuzigung. Jesus selbst versuchte auch anderweitig feindliche Grenzen zu überwinden, das zum Beispiel im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter (Lukas 10,25 ff.) wie auch im Wunder, das er an dem Knecht eines heidnischen Soldaten wirkt (Mt 8,5 ff.).
Diese Sicht wurde in der frühen Christenheit allgemein vertreten. Ein Christ durfte nicht Soldat sein. Es wurde von pazifistischen Gruppen aufgenommen, so von den Quäkern. Diese versuchten die Forderungen Jesu 1:1 umzusetzen. Dieser Ansatz hat sich dann auch von den Gruppen losgelöst, wurde z.B. vom russischen Schriftsteller Tolstoi vertreten, und wurde auch von pazifistischen Nichtchristen aufgenommen. Diese Vertreter versuchten dann in der Neuzeit diesen Ansatz auch politisch umzusetzen (s.u. 3.).
2. Realpolitischer Friede
Es wird deutlich: Seit Augustinus und Thomas von Aquin, Erasmus von Rotterdam und Luther versuchen Christen bis in die Gegenwart hinein, den jesuanischen individual-pazifistischen Ansatz mit pragmatischer Politik zu verbinden. Dieser pragmatische Ansatz beruft sich im Wesentlichen auf alttestamentliche Texte (unter Aufnahme römisch-stoischer Tradition [Cicero]). Das heißt:
- Kriege sind eine Strafe Gottes, sind Schuld, sind eine Krankheit, sie widersprechen der Vernunft, sie sind Ausdruck einer Gesellschaft, die durch Lieblosigkeit gestört ist,
- sie sind Ausdruck dafür, dass die Gesellschaft (in Familien, unter Nachbarn, in Dörfern…) durch Sünde (Ungehorsam gegenüber Gottes sozialen Geboten) gestört ist,
- Friedensarbeit bedeutet: Sich an Gottes Gebote haltend, in der Gesellschaft zu leben,
- Friedensarbeit betrifft alle Menschen, ist nicht nur Aufgabe der Herrscher.
- Kriege sind nur zur Verteidigung des Volkes erlaubt,
- Kriege, in denen es um Macht, Ehre usw. der Herrscher geht, sind abzulehnen,
- sie dürfen nur klagend geführt werden,
- man muss die Zeit nach dem Krieg im Blick haben, damit wirklich (gerechter) Frieden hergestellt werden kann,
- man darf nicht hassen, darf nicht emotional sondern rational Krieg führen, mit Blick auf das Feindesliebegebot Jesu,
- die Mittel müssen angemessen sein,
- man muss Zivilpersonen schützen,
- Folter ist abzulehnen,
- der Herrscher hat die Pflicht, sozialen Frieden herzustellen.
- Er ist von Gott eingesetzt – er ist aber nicht göttlich/heilig, sondern bekämpft Gott.
- Der Herrscher ist verpflichtet, ein Leben in Frieden zu ermöglichen, damit Rahmenbedingungen schaffen, in denen Menschen Tugenden lernen, ein Leben leben können, das zu Gott führt.
- Soldaten, die meinen, der Krieg sei Unrecht, sollen Gott mehr gehorchen als Menschen.
3. Erweiterter individual-pazifistischer Friede
In der Neuzeit (aber auch schon bei Erasmus von Rotterdam: Die Klage des Friedens [1517] https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/die-klage-des-friedens/6026) wird mit der Entdeckung der Lehre Jesu stärker der individual-pazifistische Ansatz betont, allerdings mit Ausweitung auf das Verhältnis der Völker (Quäker, Tolstoi, Kagawa, Internationaler Versöhnungsbund…). Treibende Kraft für die pazifistisch orientierten Christen war die Lehre Jesu, seine Vorstellung vom Reich Gottes (Schalom / Vereinigung mit Gott), sein Verhalten gegenüber Menschen, die am Rand der Gesellschaft standen bzw. ausgestoßen waren. Es geht nicht um Quietismus oder die Verweigerung von Widerstand. Schon für Tolstoi war die Wahrheit das Moment des Redens und Handelns, um Veränderungen herbeizuführen. Von daher ist z.B. auch Brot für die Welt: Friedensarbeit. Dazu sei auch die intelligente Feindesliebe genannt, ausgehend von den Gesellschaft verändernden Demonstrationen – dem aktiven Widerstand – von Mahatma Gandhi und Martin Luther King.
Zudem ist der Versuch, die Völker miteinander zu vernetzen, sehr bedeutsam, der von der biblischen Aussage ausgeht, dass Gott der Schöpfer aller sei (Nicolaus von Kues: De pace fidei [Der Friede im Glauben; 1453 – nach der Eroberung Konstantinopels durch Muslime https://urts99.uni-trier.de/cusanus/content/uebs.php?ueb=8, und Èmeric Crucé), vielleicht auch angeregt durch das Glaubensbekenntnis: Glaube an die eine christliche/katholische Kirche und freilich Johannes 17 (Katholische Kirche, Ökumenischer Rat der Kirchen, Weltmissionskonferenzen). Auch die UN Menschenrechtscharta gehört zu diesen Bestrebungen dazu, die im Wesentlichen von Christinnen und Christen formuliert wurde https://evangelische-religion.de/ReligionNeu/mensch/menschenrechte-1/
Dieser Ansatz ist freilich nicht mehr nur christlich, sondern auch außerhalb der Christengemeinden durch pazifistische sozialistische und bürgerliche pazifistische Gruppen und Individuen, aber im christlichen Kulturkreis, vertieft worden; er wurde dann übernommen von anderen religiösen Gruppen (Mischung/Iran: Bahai, Islam: Ahmadiyya, Buddhismus: Thich Nhat Hanh), die Arbeit der NGOs (Non-governmental organization).
4. Glaubens-Frieden / Mystik
Nachdem der realpolitische Frieden (2) angesprochen wurde, der erweiterte individual-pazifistische Friede (1+3), ist auch der Friede anzusprechen, der im Glauben, in der Mystik zu Hause ist: der Frieden, den das Individuum in Gott findet. Dieser Aspekt ist in allen Bereichen zu finden, angefangen vom Neuen Testament, in dem Paulus vom Frieden Jesu Christi spricht, der höher ist als alle Vernunft (Phil 4,7), zudem wünscht Paulus zu Beginn seiner Briefe den Lesenden Gnade und Frieden von Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Das Johannesevangelium spricht davon, dass Glaubende in Jesus Christus Frieden haben, im Gegensatz zur Welt (16,33 – was in einem liturgischen Text [Da pacem Domine] aus dem 9. Jh. betont wird: Gib deinen dienern friede, welchen die welt nicht kan geben ), der Kolosserbrief spricht davon, dass der Friede Jesu Christi die Herzen regieren möge (3,15). Frieden bekommen Glaubende erst durch Jesus Christus selbst, was dann auch im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte aufgegriffen wird. Augustinus schreibt in seinen Bekenntnissen, dass das Herz unruhig ist, bis es Ruhe / Frieden in Christus findet (1,1). Denn nach diesem höchsten Gut streben die Menschen: Gott selbst ist Frieden – und wenn man Gott erreicht, hat man den Frieden erreicht. Gott ist Frieden – das finden wir bei Bernhard von Clairvaux, und diesen Frieden erreicht man nur, wenn man sich auf das Wesentliche, also Gott, konzentriert. Gleichzeitig ist an ihm aber auch zu sehen, dass er sich für Friedensverträge einsetzte (allerdings nicht gegen Kreuzzüge). Das heißt nicht, wie auch Nikolaus von der Flüe erkennen lässt, dass diejenigen, die diesen Frieden in Gott suchen, sich dem Streben nach politischem Frieden entzogen haben. Anders Meister Eckhart so wie ich ihn einschätze. Es geht ihm um den Frieden mit Gott, ohne dass der irdische Frieden stärker in den Blick genommen wird: Soweit du in Gott bist, soweit bist du in Frieden; am Unfrieden erkennt man, dass man noch nicht in Gott ist. Wenn Jesus sagt: Gehe hin in Frieden, dann bedeutet das, dass man sich auf den Weg in Gott hinein machen soll, in den Frieden hinein. Die Konzentration auf den „Glaubens-Frieden“ dürfte – ich spreche eine Vermutung aus, eher im alltäglichen Klosterleben eine Rolle gespielt haben. Aber nicht nur. So lehrt der Protestant Emil Quandt 1871: Wohl ist Christi Reich der Friede, aber das ist der inwendige Friede; der auswendige Friede ist der neuen Erde vorbehalten. https://www.glaubensstimme.de/doku.php?id=autoren:q:quandt:tropfen:9
Für Christen gehören normalerweise – wie es neutestamentliche Schriften verdeutlichen – alle Aspekte des Friedens zusammen: Frieden mit Gott – wie auch Frieden mit dem Nächsten – was dann auch auf gesellschaftspolitischen Frieden Auswirkungen haben sollte.
Das wird schön an dem Lied aus EG 222 / GL 216 deutlich: „Im Frieden dein, o Herre mein, lass ziehn mich meine Straßen. / Wie mir dein Mund gegeben kund, schenkst Gnad du ohne Maßen, / hast mein Gesicht das sel´ge Licht, den Heiland schauen lassen.“ Dieses Lied aus dem 16. Jh. greift auf das Nunc Dimittis (Lukas 2,29ff.) zurück, das Gebet des Simeon, das er spricht, nachdem er Jesus gesehen hatte. Jesus Christus sehen, bringt Frieden. Dieser Frieden ist vor allem dann auch erfahrbar im Abendmahl. So wurde das Lied im Kontext des Abendmahles gesungen. Im 19. Jh. wurde es mit einer dritten Strophe erweitert, mit einem Vers, der das Handeln des Menschen im Blick hat: „O Herr, verleih, dass Lieb und Treu / in dir uns all verbinden, / dass Hand und Mund zu jeder Stund / dein Freundlichkeit verkünden, / bis nach der Zeit den Platz bereit´ / an deinem Tisch wir finden.“ https://www.youtube.com/watch?v=9Lcm2jzPnC4