Der Jude Jesus/Jeschua
1. Biographie und Tradition
Jesus hieß Jeschua, mit vollem Namen Jehoschua, Kurzform Jeschu.
- Er ist im Nordteil Israels aufgewachsen, in Nazareth, einem wohl sehr kleinen Dörfchen in Galiläa: Nazareth.
- Seine Eltern Maria und Josef gaben ihren Söhnen Namen, die den Söhnen des Jakob entnommen wurden: Jakob(us), Joses (von Josef), Judas und Simon. Seine Schwestern sind nicht namentlich bekannt. Der Name Jeschua fällt allerdings aus der Reihe. Seine Eltern gaben ihrem Erstgeborenen einen Namen, der überwiegend Jungs gegeben wurde, die einer Priesterfamilie entstammen. Ein sehr berühmter Namensvorfahre begegnet im Buch des Propheten Sacharja: Er war vermutlich ein Hoherpriester, der mit die Heimkehrer aus dem babylonischen Exil anführte, zudem wird er als König gekrönt. Er trug dazu bei, angesichts heidnischer Dominanz, das Volk Israel wieder aufzubauen. Die Bedeutung des Namens: Jahwe ist Retter/Hilfe. Diesen Namen gab Moses auch einem weiteren berühmten Vertreter des Namens: Josua, der das Volk Israel ins verheißene Land führte.
- Nach seiner Geburt wurde er beschnitten, wurde wie alle Jungs in dem Lesen der Tora unterwiesen und hatte wohl Bar Mitzwa (das zur Zeit Jesu aber noch nicht so hieß), das heißt, er hat mit ca. 13 Jahren die religiöse Mündigkeit erlangt. Er durfte seit dem Zeitpunkt in der Gemeinschaft aus der Tora vorlesen, durfte die Lederkapseln und Riemen anlegen (Tefillin).
- Als Junge hat er sicher von seinem Vater Josef das Zimmermannhandwerk gelernt, das heißt er konnte wohl nicht nur lesen, sondern auch schreiben, da die Buchstaben des hebräischen Alphabets auch gleichzeitig Zahlen sind. Aleph = 1 usw.
- Jeschua kannte vermutlich die Geschichte seines Volkes in und auswendig, allerdings gab es noch nicht die Bibel, die wir heute vorliegen haben. Die Schriften waren im Umlauf, aber eine Zusammenstellung wie sie uns gegenwärtig bekannt ist, gab es noch nicht.
- In der Zeit Jesu gab es eine Bewegung, die der Pharisäer. Diese Bewegung versuchte, die Israeliten dazu zu bringen, die Tora auch in den Alltag hineinzubringen, im Alltag nach den Geboten Gottes zu leben. Allerdings ging es nicht nur um die Gebote, die wir heute in der Tora finden, sondern sie kannten eine mündliche Überlieferung, die ihnen auch wichtig war. Sie standen in Opposition zu den Sadduzäern – auch in ihrem theologischen Denken: Tora und Propheten waren wichtiger als der Tempel, die hellenistische Kultur darf von Juden nicht übernommen werden, es ging um Fragen der Ethik (Ehe, Sabbat, soziale Gerechtigkeit usw.), sie glaubten an eine Auferstehung der Toten. Bedeutsam vor allem: die religiöse Reinheit. Dazu gehörten nicht allein Waschungen, sondern auch: Man durfte dies und jenes nicht essen, nicht berühren usw. Und wenn man doch dieses Reinheitsgebot übertreten hatte, musste man sich bestimmten Riten unterziehen, um wieder in den Status der Reinheit zu kommen. Das Problem der Beurteilung der Pharisäer in der Zeit Jesu besteht darin, dass sie nicht greifbar sind. Wir ahnen nur etwas davon, weil Pharisäer in das spätere Rabbinische Judentum übergingen. Deren Diskussionen und Themen werden dann in die Zeit Jesu zurückgeführt. Allerdings nicht unbegründet. So war zum Beispiel Saulus/Paulus auch ein Pharisäer und seine jüdische Theologie ist manchmal mit der rabbinischen kompatibel.
- Jeschua lebte in jüdischen Traditionen, argumentierte auf jüdische Weise. Grundlagen seines Denkens wurzelten im jüdischen Glauben – freilich hat er nicht alles, rezipiert, zumindest wissen wir es aufgrund der Auswahl der Quellen nicht – : Es gibt nur einen Gott, der Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs, er hat sein Volk erwählt, es aus Ägypten geführt, einen Bund mit dem Volk geschlossen; Gott wird seine Herrschaft am Ende der Zeiten herbeiführen. Nicht nur das jüdische Geschichtsbild (in pharisäischer Tradition) wurde von ihm aufgegriffen, sondern auch die Ethik: z.B. Mann und Frau werden mit der Heirat eine Einheit, die nicht getrennt werden darf, evtl. auch, dass das Gesetz im Liebesgebot zusammengefasst werden kann..
- Im Alter von ca. 30 Jahren zog er wie viele seiner Zeitgenossen zu Johannes dem Täufer. Johannes predigte das nahende Gericht und die Rettung davor durch die Taufe mit Wasser und das Tun des Gerechten, zum Beispiel Ehrlichkeit, gegen Ausbeutung. Nicht der Bund Gottes mit Abraham schützt vor dem Gericht, sondern das Tun des Willens Gottes.
- Jeschua ließ sich taufen – und in diesem Zusammenhang muss etwas Besonderes geschehen sein. Die Quellen berichten von einer Vision (der Geist Gottes kam wie eine Taube auf ihn herab) und einer Audition (du bist mein geliebter Sohn, sagte Gott). Seitdem begann er öffentlich wirksam zu werden. Er wählte zwölf Jünger aus – zwölf Jünger, denn das Volk Israel bestand aus 12 Stämmen. Jeder Jünger stand also für einen Stamm. Er grenzte sich von mancher Lehre des Johannes ab, aber das Thema, dass Gott bald seine Herrschaft aufrichten wird, war ihm besonders wichtig.
2. Lehre
Jeschua hat nicht nur im Vergleich zu Johannes eigene Akzente gesetzt, sondern auch mit Blick auf die Pharisäer. Er hat Ansätze jüdisch-biblischer Tradition weitergeführt, wollte zur Basis zurück: Gemeinschaft ist das Hauptstichwort. Menschen sollen als Kinder Gottes leben, einander beistehen, einander vergeben. Sie sollen so gut es geht schon jetzt das leben, was sie von der Herrschaft / Reich Gottes erwarten. Dieses Leben als Kinder Gottes ist bestimmt vom Willen Gottes, der im Gesetz ausgesprochen wird. Aber nicht nur das Gesetz als solches ist relevant, sondern der Geist hinter dem Buchstaben. Und diesen Geist versucht er als Tora-Lehrer in verschiedenen Lehrformen zu erklären: zum Beispiel in Gleichnissen, Seligpreisungen, Gebet und Lehrworten, Auseinandersetzungen:
- Reinheit ist wichtig, aber nicht die Reinheit des Körpers, sondern die Reinheit der Gesinnung, des Herzens (Mk 7). Nicht der Unreine macht den Reinen unrein, sondern der Reine macht den Unreinen rein (Mk 5). Insofern ist nicht Ausschluss von Menschen der Weg, sondern sie im Namen Gottes einzuladen (Lk 15).
- Der Sabbat steht nicht über dem Wohl des Menschen (Mk 3).
- Fasten und Spenden sind relevant – aber nicht, um vor Menschen bedeutsam dazustehen. Man soll es verborgen tun (Mt 6).
- Nicht auf Besitz gilt es zu vertrauen, sondern auf Gott (Mt 6; Lk 12).
- Ehescheidung ist von Moses erlaubt worden, aber nur, weil der Mensch übel ist, aber Gott will nicht, dass Menschen sich scheiden (Mk).
- Menschen haben von Gott Gaben geschenkt bekommen – diese müssen sie einsetzen (Mt 25) – das heißt, es wird nicht das Gesetz in den Mittelpunkt gestellt, sondern das Individuum mit seiner Begabung.
- Allen ist zu helfen, die Hilfe benötigen, nicht nur den Menschen des eigenen Volkes, sondern auch Fremden, Gefangenen, Kranken, Unbekleideten, Durstigen, Hungernden (Mt 25; Lk 10).
- Nächstenliebe bis hin zur Feindesliebe ist von Gott gefordert (Mt 5-7).
- Trennung zwischen Männern und Frauen ist auch mit Blick auf die Lehre aufgehoben (Lk 10; Joh 4). Kinder sind Wert zu schätzen (Mk 10).
- Die vergebende Liebe Gottes ermöglicht es allen Glaubenden, in enger Gemeinschaft mit Gott zu leben (wie es zum Beispiel Psalmen und Propheten zeigen, Moses und David).
All diese Themen sind nur aus seiner jüdischen Tradition heraus zu verstehen. Bedeutsam ist:
- dass er sie angesprochen hat,
- dass er sie so angesprochen hat, wie er es tat,
- dass er sie weiterführte, wie er sie weiterführte.
Diese neuen Akzente sind: neu – aber sie sind mit dem Geist des Judentums kompatibel. Wobei freilich zu beachten ist, dass das Judentum keine homogene Größe war, sondern aus unterschiedlichen Strömungen bestand, von daher ist die Rezeption Jeschuas durch Juden auch unterschiedlich.
3. Forschung
Dass Jesus gegenwärtig als Jude seiner Zeit gesehen wird, ist im Wesentlichen der neuzeitlichen Perspektive zu verdanken. Während in der christlichen Tradition der auferstandene Jesus Christus im Vordergrund stand oder auch der leidende und lehrende Jesus Christus, rückte in den letzten 100-200 Jahren der Mensch Jesus von Nazareth in den Vordergrund: Wer war dieser Jesus eigentlich? Dass Jesus Jude war, haben freilich auch die Jahrhunderte vorher gewusst, so hat Luther in seiner Frühzeit – bevor er in seiner Spätzeit massiv antijüdisch agitierte – darauf hingewiesen (Schrift 1523: Dass Jesus ein geborener Jude sei). Grundsätzlich: Je stärker Jesus als Mensch gesehen wurde, desto stärker auch als Jude. Dazu haben dann im 20. Jahrhundert nicht zuletzt auch Juden beigetragen: Martin Buber, Schalom Ben Chorin, Pinchas Lapide – dann aber auch christliche Forscher, wie zum Beispiel E.P. Sanders, Wolfgang Stegemann, was dann immer stärker Allgemeingut geworden ist. Allerdings hat die ältere Forschung Jesus als Juden wahr genommen in Abgrenzung und im Gegensatz zum Judentum. Gegenwärtig wird sachlicher Jesus in seiner Zeit wahrgenommen: die Aufnahmen jüdischer Tradition, die Auseinandersetzung mit jüdischen Strömungen und Traditionen – aber eben im Rahmen des Judentums.