Homo sociologicus

Homo Sociologicus

Während der Homo Oeconomicus den Menschen betont, den die Wirtschaft im Blick hat, ist der Homo Sociologicus der Mensch, den die Soziologie kreiert: Der Mensch wird durch die Gesellschaft gemacht. Wie im Zusammenhang des Homo Oeconomicus geschrieben, ist auch der Homo Sociologicus ein Kunstkonstrukt, das den Einfluss der Gesellschaft auf das Individuum betont (vgl. Karl Marx), aber alles andere (z.B. Psychologie, Ökologie) nicht intensiver in den Blick nimmt. Der Mensch soll als Wesen der Gesellschaft berechenbarer werden – und das geschieht durch Abstraktion.

Das Funktionieren einer Gesellschaft ist davon abhängig, dass Menschen ihre jeweiligen Rollen einnehmen und diese zuverlässig ausführen. Der Mensch lebt also in der Gesellschaft seine soziale Rollen (Kind/Eltern, Schule/Beruf [Kunde, Vorgesetzter, Markt…], Hobby, Nachbarn, Kirchengemeinde, Sportgruppen, Feuerwehr usw.). Diese Rollen, die er (je nachdem mehr oder weniger freiwillig) einnimmt, wurden von der Gesellschaft konzipiert. Darum versucht er den Erwartungen der anderen zu entsprechen, damit die Gesellschaft ihn nicht sanktioniert. Entspricht er nämlich der Rolle des Schülers, Arbeitnehmers, Kirchengemeindemitglieds, Sportgruppe nicht richtig, wird er von den jeweiligen Gruppen sanktioniert. Diese Sanktionen haben unterschiedliche Grade. Da der Mensch Tadel und Ausschluss vermeidet, versucht er den Rollen gerecht zu werden. Allerdings kann es dann zu Rollenkonflikten kommen, das heißt, seine Rolle als Vater kann mit der Rolle des Arbeitnehmers kollidieren. Dann stellt sich die Frage, welche Sanktionen nimmt er leichter auf sich: Mag er lieber den Vorwurf des Arbeitgebers aushalten oder das finstere Gesicht des Kindes. Wird der Mensch diesen Rollen gerecht, bekommt er Lohn: beruflichen Erfolg, Sicherheit, gute – im Sinne der Rolleneinnahme – Kinder.

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Gleichzeitig aber prägt der Mensch als Individuum in diesem komplexen Netzwerk seine Rollen (s. Freiheit: https://evangelische-religion.de/ReligionNeu/mensch/freiheit/ ). Dieser Aspekt geht dann aber schon über den Homo Sociologicus hinaus, der ja ein überindividuelles Konstrukt ist, um den Menschen in einem bestimmten Rahmen als Produkt der Gesellschaft verstehen zu können. Das individuelle Ausfüllen dieser Rollen zum Beispiel aufgrund einer individuellen Wertehierarchie steht dieser Abstrahierung entgegen.

Denn das kennzeichnet gerade einen Menschen, dass er Verantwortung übernimmt, das heißt, dass er sogar Sanktionen in Kauf nimmt, wenn er etwas mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann. Wenn eine Gruppe, mit der er zusammenarbeitet, sich zum Nachteil verändert – oder er er selbst sich verändert hat, muss er so frei sein, daraus die Konsequenzen zu ziehen und eben die Gruppe sanktionieren.

Zudem finden ständig Aushandlungsprozesse statt: Wird der Vater vom Arbeitgeber gefordert, wird somit der Rolle gegenüber dem Kind nicht gerecht, kann er dem Kind sagen: Aber morgen klappt es! Und das Kind wird dem zustimmen. Sanktionen sind in einer Gesellschaft nur begrenzt möglich, weil die jeweiligen Menschen, mit denen er in den Rollen zusammengeführt wurden, auch auf ihn angewiesen sind. Fallen die Sanktionen zu scharf aus, schert er aus und diejenigen, die zurückbleiben, haben Nachteile.

Nichts desto trotz führt diese Einordnung des Menschen in Rollen zu einer Vertiefung der Sicht vom Menschen als „Herden-Tier“. Denn er ist Teil der Gesellschaft, wird von ihr geprägt – er ist nicht nur ein autarkes Wesen.

Aufgaben:

Bindet Jesus den Menschen an die Rollen, die ihm die Gesellschaft zuweist? Nenne Beispiele für die gefundene(n) Antwort(en).

Was bedeutet es für Jesus, „Kind Gottes“ zu sein und somit Teil einer Gemeinschaft? Markus 3,31ff.)

Wem ist der Mensch im Sinne Jesu letztlich allein verantwortlich? (Matthäus 6,1-18; Matthäus 16,24ff.)

Das Verhältnis von Individuum und Gruppe ist vielfältig zu beschreiben, zum Beispiel das Verhältnis zur jeweiligen Gruppenstruktur. Die Gruppenstruktur ist jedoch niemals so fest, dass sie nicht in einem ständigen Wandel begriffen ist. Das dadurch, dass Individuen der Gruppe eben als Individuen die Gruppe prägen, und andere Individuen prägen wiederum das Individuum durch den Gruppenprozess. Es sind, wie oben gesehen, Rollen vorgegeben, aber das Individuum kann sie prägen, kann die Rolle ganz neu füllen, kann neue Rollen fordern, während andere in der Gruppe bestrebt sind, die alten Rollen zu fixieren. Die Frage stellt sich dann, wieweit lässt man sich auf das Neue ein, erkämpft sich/nutzt Freiräume, findet Mehrheiten. Der Soziologie geht es um die Psyche, Emotionen, Genomen, Vernetzung neuronaler Systeme, Recht, Wirtschaft, Religion, Familie, Geschlechter, Natur, Mechanismen des Lernens, um das Selbstbild, das das Individuum bzw. die Gruppe von sich haben und dem Tatsächlichen agieren, die Hierarchie.

Doch auch die Forscher sind unter Beobachtung: Welches Menschen- und Weltbild haben sie? Sehen sie eher Konkurrenzkampf (aus der Perspektive der Evolution) und/oder Kooperation (aufgrund der biologischen Forschung: Spiegelneuronen, „Glücks-„Hormon [Dopamin usw.] – ist soziale Bindung eine Art Sucht?) der Menschen? Man erkennt auch, dass es somit nicht nur um „Rollen“ geht, sondern auch um die Beobachtung, dass intakte Gruppen Gesundheit fördern, Motivation stärken, sich wechselseitig fördern. Störungen der Gruppe hingegen führen zu Isolation, Einsamkeit, Frust, Stress, psychischen Schmerz.

Aufgaben:

Welchen Charakter hat die Gemeinschaft, die Jesus im Blick hat? (Berücksichtige die Bergpredigt: Matthäus 5-7; Markus 9,33-41; Lukas 18,9-27; Lukas 15; Lukas 10,25-42)

Der Apostel Paulus schreibt: Die Gemeinde ist ein Körper. Jeder übernimmt die Aufgabe, für die er Begabungen/Fähigkeiten hat. Ist das ein realistischer Ansatz, damit Gemeinschaft gelingen kann?