Schöpfungsgeschichten

DIE SCHÖPFUNGSGESCHICHTEN

A) Einleitung

In den Schöpfungsgeschichten von Genesis 1 und 2 lernen wir eine ganze Menge über uns Menschen – und das, was wir dort lernen, hat unsere Kultur stark geprägt.

Zunächst einmal zur Gattung: Es liegen Schöpfungsmythen vor. Mythen versuchen das, was man erlebt und sieht, in Form von Erzählungen zu erklären. Dazu s. auch den Abschnitt über die Schöpfungsgeschichte  https://evangelische-religion.de/ReligionNeu/mensch/schoepfung/  . Die Schöpfungsgeschichte Genesis 1 schreibt über die Erschaffung des Kosmos (was wir Kosmos/Welt nennen, hatte allerdings zu der damaligen Zeit keine eigene Bezeichnung), der Erde, das heißt des Raumes, der Zeit und des Lebens. Was die Schöpfungsgeschichten Genesis 1 und 2  nicht machen: Sie erklären nicht, woher Gott kommt. Das ist Ausdruck heidnischer Mythen, zu erklären, wo die Götter ihren Ursprung haben. Und sie unterscheiden sich in noch etwas Wesentlichem von heidnischen Mythen: Schöpfung geschieht nicht durch Götterkämpfe.

Die Schöpfungsgeschichte Genesis 1 beginnt damit, dass Gottes Schöpfergeist über den Wassern schwebt. Weiter geführt: Der Geist Gottes ist die Voraussetzung dafür, dass der Mensch Geist hat, verstehen kann. Ihm eröffnet sich die Ordnung Gottes, weil der Geist die Ordnung wie den Menschen durchdringt. Ohne Geist Gottes gäbe es kein Verstehen.

B) Was sagt der Mythos in Form eines Lehrgedichts Genesis 1 über den Menschen?

  • Mann und Frau werden als Ebenbild Gottes geschaffen (26-27). Gott sagt: Lasst „uns“ den Menschen schaffen. Wer ist das uns? Sind es noch Fragmente aus einer babylonischen Tradition, laut der Götter den Menschen geschaffen haben? Ist es der pluralis majestatis? Man weiß es nicht. Christliche Interpretation geht von Prophetie aus. Der trinitarische Gott ist im Blick: Gott spricht – sein schöpferischer Geist schwebt über den Wassern – und hier, an der Stelle, an der es um den Menschen geht, ist der Mensch Jesus Christus im Blick. Von daher ist der Mensch Ebenbild Gottes.
  • Mann und Frau bekommen von Gott Aufträge – zunächst Aufträge wie die Tiere (22 und 28): Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde. Doch geht der Auftrag dann über den Auftrag an die Tiere hinaus: macht euch die Erde untertan und herrschet (im Sinne von Fürsorge, walten) über die Tiere. (Herrschen im Sinne von „ausbeuten“ ist eine Sicht, die in der Neuzeit die Interpretation prägte.)
  • Der Mensch muss keine Angst haben vor der Natur. Sie ist „entgöttert“ – aber als Schöpfung erstaunlich.
  • Über die Tiere zu herrschen bedeutet nicht, sie zu zerstören. Denn Gott hat alles geschaffen – und er fand das alles sehr gut. Und so besteht der Auftrag, als Gottes Beauftragte die Schöpfung zu hegen und zu pflegen, in der Sprache damaliger Hirten: zu hüten. Das wird dadurch vertieft begründet, dass alle nur Pflanzen essen dürfen.
  • Der Mensch wird aus der Fülle der Tiere herausgehoben: Er wird zuletzt geschaffen, er wird als Ebenbild Gottes geschaffen, er bekommt einen Einzelsegen, er bekommt einen Auftrag.
  • Aber: Der Mensch ist Teil der Schöpfung, erschaffen am selben Tag, an dem die Landtiere erschaffen wurden. Er ist kein Einzelwesen ohne das andere Erschaffene, auf das er durch den Auftrag gewiesen wird. Sie unterscheiden sich – aber sie gehören auch zusammen.
  • Der Mensch wird nicht biologisch hervorgehoben, sondern allein durch den Auftrag Gottes.
  • Der Mensch als Gattung – nicht der Herrscher!
  • Nicht ein Völker-Stamm hat göttliche Vorfahren, deren Repräsentant der Herrscher ist. Alle Menschen stammen von Mann und Frau ab, die Gott geschaffen hat. Es geht in Genesis 1 immer um Gattungen – nicht um Einzelwesen.
  • Arbeit ist mit der Schöpfung gegeben – gute Arbeit.
  • Es wird nicht deutlich ausgesprochen, aber wenn es heißt, dass Gott am siebenten Tag ruht, dann kann es für Israel nur heißen: Der Mensch muss auch ruhen. Der Sabbat wird von diesem Ruhen Gottes hergeleitet – bzw. mit diesem Ruhetag Gottes begründet. Das bedeutet: Der Mensch muss für die Ruhe Raum bekommen, muss Raum bekommen, über seine Beziehung zu Gott nachzudenken: Gott ruhte – also auch ich. Der Sabbat ist das Ziel der Schöpfung.

C) Was sagt der Mythos Genesis 2-4 über den Menschen?

  • Gott schuf den Menschen (den Erdling, in dem Mann und Frau verborgen sind) aus Ton. „Adam = Mensch/der aus Erde, Erdling. Der Mensch ist Materie. Und wie kann Materie leben? Gott gibt ihm seinen Lebensatem  – der Mensch beginnt zu leben (7).
  • Gott hat dem Menschen einen wunderbaren Garten gemacht, und gab ihm den Auftrag, vom Baum des Lebens und dem Baum der Erkenntnis nicht zu essen. Das heißt: Gott hat dem Menschen von Anfang an Entscheidungsfreiheit gegeben – und damit auch Verantwortung für sein Verhalten.
  • Der Mensch bekommt den Auftrag, den Garten zu bebauen und zu bewahren (Landwirtschaft).
  • Gott merkt, dass es nicht gut ist, dass der Mensch allein ist, und so schafft er dem Menschen Gehilfen – die Tiere. Und der Mensch bekommt den Auftrag, die Tiere mit Namen zu versehen (Benennen = Wissenschaft = beherrschen).
  • Der Mensch fühlt sich aber immer noch allein – die Tiere als Helfer entsprechen ihm nicht – und so lässt Gott den Menschen in einen Tiefschlaf fallen, um ihm einen Beistand / Helfer (es steht nicht [!] Gehilfin) zu machen. Er entnimmt ihm eine Rippe und macht daraus die Frau. Jetzt wird aus dem Erdling ein Mann und eine Frau. Als der männliche Erdling die Frau sah, freut er sich, denn sie ist ihm gleich. Und wenn sie zusammenkommen, dann werden sie eine Einheit (ein Fleisch – 24). Das heißt, Mann und Frau sind nur gemeinsam eine Einheit – und das ist nur möglich, wenn sie aus dem Erdling entstanden sind. Wenn die Frau auch gesondert aus Erde gemacht worden wäre, (wie es zum Beispiel Mythen anderer Völker erzählen) kann die Einheit nicht dermaßen eng werden. Von daher ist die Aussage, dass die Frau aus der Rippe des Erdlings gemacht wurde, keine Degradierung, sondern eine Aufwertung beider: Sie werden ein „ganzer Mensch“ durch die Vereinigung. (Mensch als soziales Wesen.)
  • Mann und Frau haben ein Schamgefühl – und dieses Schamgefühl wird jedoch erst bewusst, als sie sich ihrer selbst bewusst werden durch das Essen vom Baum der Erkenntnis. Seiner selbst bewusst werden und Scham gehören zusammen.
  • Die Schlange sät erst Zweifel (sollte Gott gesagt haben?), dann behauptet sie, dass die Drohung mit dem Tod irrelevant sei, Gott wolle nur nicht, dass Menschen Selbstbewusstsein bekommen und dass sie wie Gott sein werden – Gott verhindert vollständiges Leben, er will den Menschen klein halten, damit er keinen Konkurrenten bekommt. Der Grund der Freiheit des Menschen, den hat Gott gelegt. Der Anstoß, die Freiheit zu missbrauchen, kam dadurch, dass Gottes Güte in Frage gestellt wurde: Gott will mich Menschen klein halten. Warum demütigt Gott mich? Die Theodizee-Frage kommt in den Blick: Ich traue Gott Schlimmes zu.
  • Der Mensch missbraucht seine ihm geschenkte Freiheit – und die Folgen:
  1. Er schämt sich seiner Nacktheit,
  2. er nimmt die Verantwortung nicht auf sich sondern schiebt sie ab (Adam: Eva war es, und auf Gott: Du hast sie mir zur Frau gegeben!, Eva: die Schlange war es),
  3. der Mensch verliert sein paradiesisches Unbewusstsein,
  4. die Frau wird Schmerzen haben bei der Geburt und der Mann Mühsal, um den Lebensunterhalt zu erwirtschaften, es ist nicht mehr paradiesische Arbeit;
  5. die Frau wird dem Mann untergeordnet sein – dennoch nach ihm verlangen (Rollenverteilung in der Gesellschaft),
  6. der Mensch wird sterben, der Gottesatem wird ihm genommen, er wird wieder Erde.
  7. Aber Gott lässt den Menschen nicht allein, sondern er versorgt ihn mit Kleidung – aus Fell.
  8. Der Mensch, der nicht mehr im Paradies lebt, wird gewalttätig – und er versucht äußerst frech, seine Schuld zu leugnen („Soll ich meines Bruders Hüter sein?“)

D) Was erklärt der Mythos unter anderem?

  • Woher kommt es, dass Materie lebt?
  • Wie kommt es, dass es Menschen, Tiere, Pflanzen gibt?
  • Warum gibt es Mann und Frau?
  • Warum gibt es den Tod, obwohl doch alles so gut war?
  • Wir Menschen sind besonders – warum?
  • Wie kommt es, dass Menschen anders als Tiere ein Selbstbewusstsein haben, Entscheidungsfreiheit, Verantwortung tragen?
  • Wie kommt es, dass der Mensch auf das Tier bezogen ist?
  • Das Böse wird real, wenn der Mensch es tut.
  • Nicht nur der Mensch – die gesamten Wesen, so zeigt es die Schlange – ist ausgebrochen, stellt sich gegen Gott. Warum gerade die Schlange? Sie spritzt Gift in den Körper – wie sie das Gift des Zweifels in den Geist spritzte.
  • Warum muss die Frau Schmerzen bei der Geburt erleiden, warum muss der Mann schuften?
  • Er zeigt auf, dass der Mensch andere und Gott beschuldigt, dass er das Bestreben hat, wie Gott zu werden.
  • Er zeigt auf, dass der Mensch über seine gewalttätigen Triebe herrschen soll – es aber nicht tut.
  • Warum wird der Mensch gewalttätig? Aus Neid, weil er nicht die Anerkennung bekommt, die er fordert.
  • Der Mythos ist raffiniert: Hätte der Mensch vom Baum des Lebens gegessen, hätte Gott ihn bestraft – er wäre ewig lebend, aber ohne menschliches Bewusstsein. So hat der Mensch erst vom Baum der Erkenntnis gegessen, die Verantwortung muss er tragen; Gott handelt, damit der Mensch nicht auch ewig leben wird. Es geht nicht um Gottes Zorn, sondern darum zu begründen, dass einmal der Mensch Verantwortung trägt, was Konsequenzen nach sich zieht, und zum anderen das Sterben.
  • Durch den Ungehorsam wurde der Mensch seiner bewusst. Das Negative führte zum Guten – zuweilen zum schrecklich „Guten“. Ungehorsam war von Gott ermöglicht worden. Die Versuchung ist Folge des Gebotes. Durch den Ungehorsam konnte erst eine bewusste Beziehung aufgebaut werden. Die Grundlage einer aufreibenden und grotesken Beziehungsgeschichte zwischen Gott und Mensch, Mensch und Mensch, die noch andauert.

E) Dieser Mythos aus Genesis 1 und der aus Genesis 2 haben unsere Kultur sehr geprägt:

Wissenschaft: Das Lehrgedicht Genesis 1 kommt vollkommen ohne Götter aus. Während das heidnische Umfeld zum Beispiel in den Gestirnen Götter sah, spricht das Lehrgedicht von Lampen für den Tag und für die Nacht, die Gott an den Himmel gesetzt hat. Die Natur wird entgöttert. Das bedeutet: Der Mensch muss vor der entgöttlichten Natur keine Angst haben, er kann alles als zu benamende Objekte ansehen – und damit auch wissenschaftlich angehen. Nicht umsonst ist der Westen gerade in wissenschaftlicher Hinsicht so dominant geworden. Der Mensch ist befugt, alles zu beherrschen im oben genannten Sinne. Dass die Moderne das verändert hat – und Herrschaft rigide gegen die Schöpfung durchgesetzt hat, liegt nicht am Text, sondern daran, dass der Mensch ihn anders interpretieren wollte – die Tiere sind seine Gehilfen, nicht seine Sklaven (  https://evangelische-religion.de/ReligionNeu/mensch/glaube-und-naturwissenschaft-1/  ). Staunen über die Schöpfung, Gottes Handeln nachspüren, das ist Wissenschaft, die von Christen geprägt wird. Keine Angst vor der Natur – aber dennoch Ehrfurcht.

Menschenrechte: Dass alle Menschen gleiche Würde haben, das findet in diesem Text seinen Ursprung – und zwar mit der Letztbegründung: Alle haben gleiche Würde, Mann wie Frau, alle Menschen, weil Gott sie als sein Ebenbild geschaffen hat – nicht nur die Herrscher. Mit der Würde sind auch Freiheit und Verantwortung gegeben. (  https://evangelische-religion.de/ReligionNeu/mensch/menschenwuerde-1/  )

Sabbat: Der Mensch bekommt einen Ruhetag – wenn er das vergisst, muss er sich nicht – im modernen Sinn gesagt, über Burn-Out und wirtschaftliche Ausbeutung beklagen.

Rolle Mann-Frau: Dass der Mythos an dieser Stelle aus heutiger Sicht negativ gewirkt hat, ist auch deutlich: Die Frau ist Schuld, dass das Paradies nicht mehr zugänglich ist – und damit verbunden ist eine Degradierung der Frau durch die Jahrhunderte gegeben. Gleichzeitig müsste eigentlich der Frau die positive Rolle zukommen: Sie hat für die Selbstbestimmung und Emanzipation des Menschen gesorgt. Aber die Betonung dieser erstgenannten „Schuld“ passte in das Schema des Patriarchats – und diese paradiesische Aussage, dass der Mensch als Mann und Frau erst das ist, was sie glücklich macht, wurde übergangen.

Theologisch: Gott ist nicht Welt. Gott ist immer – nicht erst Folge einer Entstehung (Göttermythen). Alles ist, weil Gott es ermöglicht. Der Mensch ist nicht Teil Gottes, so dass er mit Gott eins werden kann. Er ist Teil der Natur, Teil der Schöpfung. Die Macht des Wortes Gottes wird vor allem Genesis 1 vorgestellt: Gott spricht, es geschieht. Und vermutlich: ständig. „Am/im Anfang“ kann zeitlich verstanden werden: Gott begann als noch nichts da war – und dann war es da. Wird manchmal auch als der Grund von jeglicher Schöpfung verstanden: Gott ist ständig am erschaffen, es war keine einmalige Handlung, sondern ist eine ständige. Dieser Aspekt kann auch mit dem oben schon erwähnten Geist Gottes verbunden werden: Gottes Schöpfergeist durchwirkt die Schöpfung – und ist damit auch immer neuschaffend am Werk. (Interessant ist, dass auch der vorsokratische griechische Philosoph Anaxagoras (5. Jahrhundert) meinte, dass bevor in der Schöpfung alles getrennt wurde, alles in einer Mischung zusammen gewesen sei. Mit Ausnahme des Geistes. Der Geist ist als einziges Etwas nicht vermischt, existiert nur für sich selbst, hat den Kosmos geplant und durchgeführt. Es sind also nicht die Götter aus dem Chaos entstanden, sondern es steht etwas über dem Chaos. Und damit haben wir im griechischen Bereich das, was Juden in babylonischer Zeit ca. 100 Jahre vorher angedacht hatten.)

Übrigens sind Sonne und Mond – anders als es der babylonische Mythos sagt, keine Götter, sondern eine Art Lampen: Der eine Gott hängt Lampen an den Himmel. Weil der griechische Philosoph Anaxagoras meinte, die Sonne sei kein Gott, wurde er wegen Götterbeleidigung angeklagt und musste in der Verbannung leben.