Noah und die „große Flut“ (Sintflut)
Das Volk Israel wurde von den Babyloniern erobert. Viele Menschen waren gestorben, waren getötet worden, viele Menschen wurden verwundet, die Häuser waren zerstört, die Felder verbrannt, die Tiere waren von den Soldaten der Babylonier geschlachtet und gegessen worden. Manche Menschen haben die Katastrophe des Krieges überlebt. Aber: Viele von den Überlebenden wurden nach Babylon verschleppt. Sie mussten dort als Sklaven den babylonischen Herren dienen.
Wie immer, wenn die Not ganz groß ist, fragten die Menschen verzweifelt: Warum lässt Gott das zu? Weise Menschen aus Israel gaben die Antwort: Gott ist mächtig und gut. Aber weil wir Gott nicht gehorcht haben, weil wir seine guten Gebote übertreten haben, haben wir einander viel Böses getan. Nicht nur die Babylonier haben damals böse gehandelt. Wir auch. Dass wir andere Menschen erniedrigen, verspotten, ihnen den Besitz rauben – das wollte Gott nicht zulassen und hat uns dann bestraft.
Diese Antwort war für die Israeliten sehr hilfreich. Und sie versprachen Gott und einander, sich bessern zu wollen.
Ein weiser jüdischer Mensch hörte in Babylon eine Geschichte:
Zwei der vielen, vielen Götter waren sich uneins über die Menschen geworden. Der eine Gott wurde so zornig, weil die Menschen ständig herumlärmten und aufmüpfig waren, so dass er die Menschheit durch eine Wasserkatastrophe zerstören wollte. Ein anderer Gott mochte die Menschen und ließ einen Menschen heimlich ein großes Schiff bauen, und mit diesem Schiff wurden die Menschen dann gerettet.
Als der weise jüdische Mensch diese Geschichte gehört hatte, war er begeistert und wird sich gedacht haben: Diese Geschichte nehme ich, um meinem Volk in der Notlage zu helfen. Weil er Jude war und an nur einen Gott glaubte, erzählte er die alte babylonische Geschichte auf neue Weise.
Gott sah, dass die Menschen einander böses taten. Er hatte die Menschen gut geschaffen. Er wollte, dass sie alle gut miteinander leben und umgehen. Aber sie taten es nicht. Gewalttaten, Überfälle, Kriege, Rechtlosigkeit beherrschten das Zusammenleben. Weil die Menschen nicht mehr an Gott glaubten, gingen sie so bösartig miteinander um. Darum wollte Gott nun die alte Menschenwelt zerstören und eine neue Menschheit erschaffen. Dann erkannte Gott, dass es einen gerechten Menschen und seine Familie gab: Noah(*). Den Noah, seine Familie und Tiere der Erde will ich nicht zerstören, sagte Gott. Er ließ Noah ein großes Schiff aus Holz bauen. Die Menschen um Noah herum verspotteten ihn: Was, in dieser Ebene baust Du ein so riesengroßes Schiff? Das ist doch wahnsinnig. Bist du blöd? Doch als das Schiff fertig war, ging Noah mit seiner Familie hinein – und alle Landtiere kamen paarweise und kamen in dem riesengroßen Schiff unter. Denn Gott kümmert sich nicht nur um Menschen, er kümmert sich auch um Tiere. Er wollte nicht seine wunderbare Schöpfung ganz vernichten, und die Tiere gehörten auch zur schönen Schöpfung. Das Schiff wurde geschlossen. Dann begann es zu regnen und zu regnen. Die Wasserpegel stiegen und stiegen. 40 Tage und Nächte regnete es. Die Fluten der Meere verschlangen alles Leben.
Dann hörte es auf zu regnen. Aber es dauerte noch Monate, bis das Wasser verdunstet war. Zuerst stieß das Schiff an den Berg Ararat. Als großer Berg war er zuerst vom Wasser befreit. Und noch länger dauerte es, bis mehr Land trocken wurde. Um zu sehen, ob es unabhängig vom Berg Ararat schon irgendwo trockenes Land gab, schickte Noah den Raben aus. Doch er kam immer wieder zurück, weil er kein festes Land gefunden hatte. Eines Tages war es soweit, die Raben kamen nicht mehr zurück. Dann schickte er die Taube, die nicht so weit fliegen konnte wie der Rabe, aus. Auch sie kam immer wieder zurück. Eines Tages kam die Taube zurück und hatte einen kleinen frischen Zweig des Olivenbaums in ihrem Schnabel. Noah wartete noch ein wenig, als dann die ausgeschickten Tauben auch nicht mehr zurückkamen, wusste er: Bald ist es soweit und wir können alle die Arche verlassen. Als das Land wieder belebbar wurde, verließ er mit seiner Familie und allen Tieren die Arche.
Noah war echt dankbar, dass sie gerettet worden waren. Er brachte Gott ein Opfer. Und Gott versprach Noah, dass er alles Lebendige nicht mehr so schwer bestrafen möchte. Gott schloss einen Bund mit Noah und gab ihm vorläufig ein paar Gebote, die allen Menschen gelten. Weitere Gebote für das jüdische Volk kamen dann später mit Moses dazu. Aber erst einmal gab es nur wenig Gebote, die das Zusammenleben zwischen Menschen regeln sollten. Als Zeichen des Bundes sagte Gott, gebe ich euch Menschen und allen Lebewesen den Regenbogen. Mit dem Regenbogen verspreche ich euch: Nie werden aufhören Saat und Ernte, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
Und die Israeliten in Babylon hörten ganz gespannt zu. Sie verstanden: Der weise Mensch hat nicht nur eine alte babylonische Geschichte neu erzählt, er hat sie uns erzählt! Uns, die wir so viel Leiden erlebt haben und erleben. Auch wir haben die Fluten des Krieges erlebt. Gott hat uns diese furchtbare Zeit überleben lassen! Und nun beginnt Neues: Gott setzt uns den Regenbogen als großes Hoffnungszeichen in die Wolken. Obwohl wir als Volk so viel Schlimmes erleben, Gott lässt es nicht zu, dass wir ganz vernichtet werden. Und immer wieder, wenn wir den Regenbogen sehen, werden wir daran erinnert. Aber wir werden auch daran erinnert, dass wir Gottes Gebote halten sollen, damit wir Menschen gut miteinander umgehen.
Bemerkungen:
(*) Die Söhne hießen Sem, Ham und Japhet. Wie die Frauen der Söhne hießen wird nicht überliefert. Aber erst viele Jahrhunderte später wurde auch der Name von Noahs Frau genannt: Haikal bzw. sie wurde mit dem alttestamentlichen Namen Naema verbunden. Der Name Noah bedeutet: Ruhe/Trost. Haikal bedeutet entweder „großes Haus/Palast“, Naema bedeutet: Liebliches Tun.
Eine Erzählung aus der Zeit heraus zu verstehen, wird „historische Exegese“ genannt. Eine alte Erzählung für die eigene Zeit neu zu interpretieren wird „Hermeneutik“ genannt. Der alttestamentliche Erzähler interpretiert die alte sumerisch/babylonische Geschichte in seiner Zeit neu – wie wir sie für uns heute wieder neu interpretieren. Allerdings wird in unserer säkularen Zeit – einer Zeit, in der wir versuchen, ohne Gott alles zu denken und zu erklären – Gott mit Blick auf Katastrophen nicht mehr berücksichtigt. Der Mensch führt die Katastrophen selbst herbei. Katastrophen sind, wie auch im Alten Testament, Folge des schlimmen menschlichen Handelns. Aber im Unterschied zur Gegenwart betont das AT: Gott ist der Richter. Und wir denken, die „Strafe“ kommt von der Natur oder einfach so. Der Christ Jörg Zink formulierte eine Untergangsgeschichte der Menschheit, die diese selbst herbeiführen. Die Hölle freut sich riesig – und im Himmel singen die Engel weiter. Der Mensch wollte nicht mehr Ebenbild Gottes sein und hat sich zerstört. Das heißt: Gott ist auch hier tatenlos. Das können die jüdischen Weisen der nicht akzeptieren: https://www.joerg-zink.de/die-letzten-sieben-tage-der-schoepfung/
Aufgaben:
- Was sagt der babylonische Text, wie er hier verkürzt wiedergegeben wurde, a) über Götter aus? b) was über Menschen?
- Was sagt die jüdische Umsetzung, soweit sie hier verkürzt wiedergegeben wurde, gegenüber der babylonischen Tradition aus, über a) Gott und b) über Menschen c) über Lebewesen insgesamt?
- Die Noahgeschichte gehört zu der Gattung Mythos. Ein Mythos versucht Erfahrungen, Beobachtungen usw. mit Hilfe einer Geschichte zu deuten. Welches Ereignis soll in der jüdischen Überlieferung gedeutet werden?
- Diese jüdische Umformung des alten Mythos möchte den Menschen in seiner Zeit etwas ganz Besonderes sagen. Kannst Du nachvollziehen, was er sagen wollte?
- Der alte babylonische Mythos wird zu einer jüdischen Hoffnungsgeschichte. Erzähle eine Hoffnungsgeschichte aus unserer Zeit.
- Nun lies den Text in Genesis 6-9. Du wirst viele Aspekte entdecken, die in der Wiedergabe oben nicht genannt wurden. Was findest Du an der Erzählung nicht gut? Kannst Du sie mit Hilfe der oben genannten Interpretation leichter verstehen? Zum Beispiel: Was soll sie noch alles erklären?